Gruppe 13


Räuberpistolen für den Hausgebrauch


Vom Golfplatz abwärts

von Gundolf Bresenz

Auf halbem Weg zwischen Gestüt und Golfplatz beschleicht mich eine böse Vorahnung. Ich bedeute meinem Fahrer, die Geschwindigkeit zu drosseln, steige aus dem Wagen und übergebe mich. Mein Magen schmerzt. Es ist nicht dieser übliche, dumpfe Schmerz, der einen befällt, wenn man einen unguten Hummer gegessen hat. Eher ein stechender Schmerz, vergleichbar mit der Pein, die man verspürt, wenn man allzu hastig eine Pistazie öffnet und die Schale das weiche Fleisch direkt unter dem Fingernagel zerschneidet. Dieses Gefühl breitet sich nun in meiner Bauchspeicheldrüse aus.

Ich übergebe mich, das hilft. Dann setze ich mich wieder in den Wagen und kurz darauf schon kommen wir auf dem Parkplatz des Golfplatzes zum halten. Mein Trainer – ein gut gebauter Schwuler mit britischem Akzent – bedeutet mir, aus dem Wagen zu steigen. Er lächelt mich freundlich an:
„Herr Söhnlein, auf geht es. Heute wird gegolft.“ Dabei schwenkt er fröhlich das Achterholz hin und her.
Mein Fahrer hält mir die Tür auf und ich erhebe mich widerwillig aus dem Font des alten Rolls. Mein ungutes Gefühl manifestiert sich langsam und ich beginne zu spüren, dass es sich in einer ungewöhnlich perfiden Form der Performance-Kunst entladen wird.
Das kindische Grinsen des Trainers verfliegt nicht aus seinem Gesicht, und so sehe ich mich schließlich genötigt, ebenfalls grenzdebil zurück zu grinsen und neben ihm herzulaufen. Mein angestrengtes Schweigen hat der Schwule nun endgültig als Absage an ein Gespräch gedeutet.
Wir beginnen mit ein paar Abschlägen auf der Driving Range, zwischen neureichen, halbseidenen Gesellen und ein paar sportlich motivierten jungen Gazellenweibchen, die mir ihre Hinterteile entgegenstrecken.

Schon beim ersten Schlag übertreffe ich meinen bisherigen Rekord um Längen. Doch anstatt mich zu beruhigen steigert dies nur noch meinen Groll. Es ist ein dumpfer Groll. So dumpf und so laut, dass es sich anhört, als wäre eine unsichtbare 800-Watt-Bassbox direkt unter mir auf dem Abschlagspunkt vergraben.
Als mein Trainer auf die Toilette verschwindet, lege ich mich auf den Boden, horche und buddle los, auf der Suche nach der Bassbox.
Als der Trainer zurückkehrt, findet er mich in dem nun gut und gerne zwei Meter tiefen Loch im Boden stehen und wühlen.
Verwundert und lachend ruft er hinein: „Na, huhu, was ist denn da los? Herr Söhnlein!“ Doch ich höre ihn nicht. Zu sehr bin ich beschäftigt mit Graben. Dann pinkeln, damit die Erde sich besser greifen lässt, dann wieder buddeln.
Tiefer und tiefer, schneller und schneller.
„Geschwindigkeit ist eine Tugend“ denke ich. (Ich meine mich daran erinnern zu können, dies mal in der BILD-Zeitung gelesen zu haben. Aber vielleicht täusche ich mich.)
Doch zum Grübeln fehlt mir eindeutig die Zeit. Ich muss weiter, tiefer ins Erdreich vordringen!
Mittlerweile habe ich meine Technik perfektioniert: Ich ramme den Golfschläger tief in den Boden, drehe mich dann – den Schläger fest umgriffen – um die eigene Achse. Dabei sondere ich ein paar Tropfen aus meiner Harnröhre ab. Dann lasse ich mich auf den Boden plumpsen und buddle mit beiden Händen weiter drauf los wie ein Irrer. Nach geschätzten fünf Minuten höre ich meinen Golftrainer und einige Schaulustige in das Loch brüllen. Doch es ist mittlerweile so tief, dass das Echo ihrer Stimmen nur noch als Frequenz-Brei in meinen Ohren landet.
Ich mache kurz ein „Daumen hoch“ Zeichen nach oben, dann geht es weiter.
Ich wühle mich durch Sedimente und Gesteinsschichten, durch archäologische Funde und Gerippe, durch Pharaonen-Mumien, Kalk und Sand, Schlamm und Schlacke. Schließlich wird es heiß, immer heißer, unerträglich heiß! Au!
Ein letztes zwanghaftes urinieren, zwei launische Handgriffe ins Erdreich – und da spritzt mir schon die Lava entgegen. Ich bin angekommen, endlich da, am Erdmittelpunkt!
Die heiße Lava ergießt sich über meine Füße, doch das ist jetzt zweitrangig.
Ich, der Protagonist, habe es geschafft. Ich bin angekommen am Ende meiner Reise. Ich lasse mich fallen in die glühende Lava und…

„Günther! Günther, aufwachen!“ Das ist meine Mutter, ich erkenne das keifige Gegacker sofort. Ich heiße Günther, bin schon 40, aber lebe noch zu Hause und habe mich gerade nicht mit blossen Händen und einem Golfschläger bis zum Mittelpunkt der Erde vorgekämpft. Stattdessen gehe ich jetzt zum Amt und hole mir mein Hartz 4 ab. Danach ne Currywurst und nen schnellen Wichs in der Pornokabine am Hauptbahnhof. Scheiß Leben.

Gundolf Bresenz zeichnet mit seiner Kurzgeschichte ein wundervoll-bizarres Bild einer Gesellschaft, in der das Golfspiel an die Stelle von Liebe getreten ist. Er nimmt den Leser auf geradezu grazile Weise mit in eine Welt – seine Welt – die mit unserer so wenig und gleichzeitig so viel gemeinsam hat, wie wir es zu glauben bereit sind (BRIGITTE).

Gundolf Bresenz lässt sich nicht mit Alois Brandberger vergleichen (Der Stern)