Die Zinken des Keilers
von Abenteuerautor Lurch Fuchs
Es war früher Abend. Die Taverne “Lümmelnder Keiler” im Dorfe Jürgens
Wacht war bereits gut gefüllt und die Tür öffnete sich regelmäßig, um
noch mehr Gäste einzulassen. Es war ein gemütlicher, lauschiger Ort.
Erfüllt vom warmen Licht diverser Kerzen, Fackeln und dem großen Kamin
am Ende des Schankraums, sowie einem stetigen Rauschen aus Gemurmel und
Gelächter. Von den drei Gestalten an einem Tisch im hinteren Bereich der
Kneipe wollte trotzdem keiner hier sein. Keiner von ihnen hätte geglaubt,
jemals wieder hier sein zu müssen. Hatten sie die Götter verärgert?
Hatte man sie mit einem mächtigen Fluch belegt? Oder waren sie wirklich
nur sehr schlecht in einem Leben, das abseits von Verliesen, Horden von
Monstern und dem erwartungsvollen Grinsen von Barz, dem Gott der
Totenwelt, stattfand?
Iffy, die Elfenmagierin, betrachtete mit tiefer Abscheu, wie sich Grimbart
“der Säufer” bereits den fünften Humpen Bier in seinen Mund und zu nicht
unerheblichen Teilen in seinen mächtigen Bart goss. In seinen Bart, mit
dessen Glanz der Zwerg vor 20 Jahren noch die dunkelsten Ecken der
finstersten Verließe erhellte. Geflochten von den dreibrüstigen Nymphen
des Tümpels der fragwürdigen Blicke und geglättet mit dem glühenden
Schmiedeeisen des fleißigen Drachen Gunther, der in den Höhlen der
Beflissenheit seiner lukrativen Handwerkskunst nachging. Doch da, wo das
ursprünglich leuchtende Weiß noch durchschimmerte, war es heute blass und
stumpf. Der Rest um Mund und Nase war gelb vom Suff und dem Rauch
unzähliger Sumpfgraspfeifen. Grimbarts Axt “Schädelschreck” lehnt stumpf
und von Rost befallen an seinem Hocker. Die magische Waffe wirkte so
krank und ungepflegt wie ihr Besitzer. Ein fauler Geruch von schalem
Bier und bepinkelter Unterhose umgab das Ensemble.
“Grimbart, du bist eine eklige, fette Sau. Du hast dich kein bisschen verändert!” fauchte Iffy, die sich das Elend des einstigen Zwergenkriegers bereits seit über einer Dreiviertelstunde anschauen musste. “Wo bleibt unsere minderbemittelter Barbar? Das war immerhin eine leere Hülle, die etwas fürs Auge bot.” Sie rieb sich angestrengt die Schläfen, als ob sie damit die Zeit beschleunigen könnte.
Grimbart starrte mit seinen wässrigen, blutunterlaufenen Augen an seiner
dunkelroten Nase vorbei tief in den leeren Bierkrug.
“BAAAAAARRRRRRPPPS!” entfuhr es ihm gefolgt von einer langen Pause, und
gerade als man dachte, es käme nichts anderes mehr aus ihm heraus, sagte
er mit tiefer, grollender Stimme: “Iffy, Iffy, Iffy. Was interessiert es
mich, ob ich den Augen einer dürren Elfe gefalle. Verwende deine Magie
und mach aus dir einen stattlichen Zwerg! Dann können wir reden, oder
besser…” Grimbarts Stimme wurde leiser und er schien mehr zu sich selbst
zu sprechen: “…bring meinen geliebten Alfred Eisenhirn aus den Höllen
von Flürt zurück!” Er schüttelte sich, als hätte man ihm kaltes Wasser
über den Kopf gegossen und blickte die Zauberin eindringlich an.
“Wenigstens bin ich nicht auf der Flucht vor nicht minder als drei
meiner ehemaligen Liebhaber, von welchen einer der mächtigste Nekromant
im südlichen Reich ist. Oder willst du uns erzählen, dass es Nostalgie
und die Sehnsucht nach alten Gefährten waren, die dich und dein Gewand
aus feinster, zetromanischer Seide an diesen versifften Tisch in dieser
stinkenden Spelunke gebracht haben?”
Iffys blasse Elfenhaut wechselte zu einem tiefen Purpur, doch sie sagte nichts. Die Magierin hatte sich tatsächlich aus reiner Verzweiflung an ihre ehemaligen Gefährten gewandt. Sie war Meuchelmörder und Söldnerbanden bereits aus vergangenen Ehen gewohnt und machte dank ihrer mächtigen Eismagie kurzen Prozess mit ihnen, aber die untoten Horden von Knarz dem Gebeutelten, die ihren gläsernen Turm “Iffydim” bereits seit Wochen belagerten, begannen sie auszulaugen. So - viele - Vampire. Und so war sie mit knirschenden Zähnen geflüchtet.
“Ha! Iffy, sieh es endlich ein! Der einzige Halbmann für dich, bin ich, Fridolin der singende Typ! Hättest du damals…” “FRESSE FRIDOLIN!”, schrien ihn Iffy und Grimbart zugleich an und Iffys Handrücken knallte ihm mit einem schallenden Klatschen ins Gesicht. Grimbarts Hand war bereits zur Faust geballt, aber er gab sich zu Fridolins Erleichterung mit Iffys Maßregelung zufrieden.
Fridolin, der singende Typ, hatte es nicht leicht. Er war als Letzter zur Gruppe gestoßen und hatte nie wirklich Anschluss gefunden. Aufgrund einer Kopfverletzung, die sich der rothaarige Halbling als kleiner Junge beim Kartenspielen zugezogen hatte, war das Bild vom “Schurken mit Herz” tief in seiner Selbstwahrnehmung eingebrannt und war durch nichts aus ihm herauszuprügeln, wie bereits viele entnervte Helden feststellen mussten. Fridolin war nicht charmant und clever, sondern übergriffig und taktlos. Die Gruppe duldete ihn, weil sie auf seine mittelmäßigen Diebesfertigkeiten angewiesen war und er sich nicht wehren konnte, wenn sie ihn um seinen Beuteanteil betrogen. Als sich die Gruppe vor knapp zwei Jahrzehnten genau an diesem Tisch, in dieser Taverne auflöste, wusste er nichts mit sich anzufangen und wurde Autor. Als ihn der Ruf der Gruppe ereilte, verließ er sein prunkvolles Schloss schweren Herzens, denn er hatte das Gefühl, er war es den anderen schuldig, und wie sollten sie auch ohne seinen schurkenhaften Charme klarkommen? Er rieb sich die Wange und zwinkerte Iffy mit einem Schnalzen zu, duckte sich aber sofort zurück, als diese drohend mit ihrer Hand ausholte.
“Oh wow, ihr seid wirklich alle gekommen!”, sprach eine vertraute Stimme
von der Seite. Die drei blickten den Neuankömmling an. Der
hochgewachsene Mann war in seinen Mittvierzigern und war nackt.
Zumindest sah es so aus, denn der imposante Bauch des muskulösen Hünen
hing über dem vermutlich knappsten Lendenschurz, welcher nur mit viel
Wohlwollen noch als Kleidungsstück bezeichnet werden konnte. Außerdem
hatte er anstatt einer rechten Hand einen goldenen Haken. “Ich habe
alles beim Spielen verloren.”, seufze der Barbar, dessen langes
schwarzes Haar von grauen Strähnen durchzogen war.
Seine einstigen Kumpanen sahen sich an und brachen in schallendes
Gelächter aus. “Du hast die Stachelhaut von Gorm, die wertvollste
Rüstung des Reiches, beim Spielen verloren?” prustete Grimbart.
“Ja.”
“Du hast Filbelbir, den Blutrünstigen, das tausend Jahre alte, singende
Schwert der Hochelfen von Ismirdirbir verspielt?” fragte Iffy mit
Tränen in den Augen.
“Ja.”
“Du hast die Blitzstiefel des Frostriesen Huggel der Kahle nicht mehr?”
“FRESSE FRIDOLIN!” sangen alle im Chor während Alandor der Große und
Schöne seinen goldenen Haken direkt in Fridolins Magengrube rammte.
“Urgh.”
“Und bevor jemand fragt. Ja, ich habe meine rechte Hand verwettet, dass
ich einem zylyptischen Affen seine Orgel abschwatzen kann, und nur durch
eine ungewöhnliche Glückssträhne konnte ich sie kurz darauf durch einen
goldenen Haken ersetzen.”
Die Gruppe diskutierte immer noch Alandors Haken, als ein Mann in Kutte die Taverne betrat. Er blickte hastig von Tisch zu Tisch, als sei er auf der Suche nach jemanden. Als er die Gruppe Ex-Helden erblickt schien er fündig geworden zu sein. Er trat näher und war im Begriff zu sprechen, zögerte dann aber doch, als er ein besseres Bild der versammelte Truppe hatte. “Ich, äh”, stammelte er. “Ich bin auf der Suche nach mutigen…” “…Abenteurern, jajaja, sind wir!” fiel ihm Alandor der Große und Schöne ins Wort. “Wer muss gerettet/erschlagen werden, wie viele Stockwerke hat das Verlies, die Katakombe, die verwunschene Ruine und was bist du bereit zu zahlen? Oder verschwinden wieder Leute spurlos? Wird das Dorf von Untoten geplagt? Ist der lokale Drache ungehalten? Was ist los?”
Der Mann guckte verdutzt, schluckte hörbar und schüttelte den Kopf. “Nein, nein, ich brauche eure Hilfe, weil die lokale Brauerei ihren durch Fehlkalkulationen produzierten Bierüberschuss in den Fluss kippt, welcher unsere Felder mit Wasser versorgt. Alles schmeckt nach Hopfen! Und die betrunkenen Fische machen unseren Kinder Angst! Bitte helft uns, ihr seid unsere letzte Hoffnung!”
Die vier einstige Gefährten schauten sich intensiv an, dann nickten alle gleichzeitig, sprangen wortlos auf und rannten zu ihrem gigantischen Kampfroboter um der finsteren Brauerei das Handwerk zu legen.
Fortsetzung folgt…