Gruppe 13


Räuberpistolen für den Hausgebrauch


Fett

von Justin-Rolf Colt

Klar, Heinz wusste auch vorher schon, wie sich Einsamkeit anfühlt. Nicht diese allumfassende, ewige Einsamkeit die ihn heute umgab, aber sie war ihm nicht fremd. Das hätte die Menschen damals vermutlich ziemlich überrascht, denn Heinz war sehr beliebt und Heinz war nie allein. Er führte damals einen kleinen Kiosk in Bonn, direkt am Rhein, in dem er blasse Pommes und knorpelige Wurst zu horrenden Preise an seine Gäste verkaufte. Die Menschen mochten ihn trotzdem. Er war aufgeschlossen und freundlich, jederzeit für einen Plausch mit der Kundschaft bereit – das gehörte zum Geschäft. Die urlaubsreife Lage seines kleinen Imbiss tat ihr Übriges.
Nach dem Frittieren warteten zu Hause seine Frau Gabi, die Söhne Karl und Karl und die kleine Pommes.

Heinz frittierte tagein tagaus, von der Früh bis spät in den Abend. Alles, was seine Kundschaft begehrte, fand seinen Weg in das siedende Fett. Nach Feierabend experimentierte er und frittierte auch Ungefragtes. Die Rheinaue bot: Enten, Gänse, Krähen, Graureiher, Kaninchen, Eichhörnchen und Schildkröten. Er dachte über Katzen nach, entschied sich dann aber dagegen.

Doch wenn man genauer durch die glänzende Fettschicht seines Alltags schaute, dann fand man darunter einen anderen Heinz.
Wenn er abends den Imbiss abschloss und sich im Dämmerlicht durch die Straßen der Stadt bewegte, dann spürte er deutlich, wie ihm seine Mitmenschen aus dem Weg gingen. Seine gelblich glänzende Haut, der schwere Duft nach altem Frittierfett und seine knusprigen Finger irritierten die Leute, ja, jagten ihnen sogar Angst ein.
Gabi empfing ihn jede Nacht mit einem vorwurfsvoll resigniertem Blick. Die Ärzte hatten Heinz wegen der ungeheuren Hitze der Fritteusen ein kinderloses Leben prophezeit. Ein Opfer, das Heinz zu bringen bereit war und das ihm das Herz von Gabi, die kein Herz für Kinder hatte, öffnete. Die Ärzte irrten und Gabis Herz schloss sich wieder.
Keiner der Karls wollte in seine Fußstapfen treten, um den Kiosk in der Familie zu halten. Beide beschäftigten sich lieber intensiv mit Ballerspielen und wollten später „irgendwas mit Pornos“ machen. Seine Tochter sprach seit ihrem zweiten Geburtstag kein Wort mehr mit ihm. Sie war Vegetarierin.

Als in den vergangenen Tagen also die gesamte Menschheit von einem Virus ausgerottet wurde, änderte sich an Heinz’ Gemütszustand vorerst nicht viel. Er fühlte sich ein bisschen leichter. Das tief sitzende, über die Jahre in seine Haut, in sein Wesen imprägnierte Fett hatte ihn vor dem Virus bewahrt. Da niemand da war um aufzupassen, gingen alle Städte in Flammen auf und Heinz rettete sich in den Wald. Erwartungsvoll schaute er seinem bevorstehenden Hungertod entgegen – doch Heinz verhungerte nicht. Er starb auch nicht an Unterkühlung oder wurde von Wölfen gefressen. Heinz’ Immunität gegen das Virus war nicht das einzige Wunder, das ihm ein Leben im Dunst der Fritteusen geschenkt hatte.

Bereits nach wenigen Tagen allein in der Wildnis stellte Heinz fest, dass Regenwasser weder in seine Haut noch in sein Haar eindringen konnte. Er ging auch nicht im Wasser unter. Lachend lief er auf dem Rhein hin und her bis ihm nach wenigen Sekunden die Puste ausging. Einen Moment lang sah es so aus als müsse er ein bisschen kotzen, aber es passierte nichts.
Holz musste er nur kurz festhalten, um es schneller brennbar zu machen. Tiere (Enten, Gänse, Krähen, Graureiher, Kaninchen, Eichhörnchen und Schildkröten) wurden vom seinem ranzigen Duft angelockt und betört und ließen sich so kinderleicht erlegen. Wenn es dunkel wurde, entzündete er eine gezwirbelte Haarsträhne auf seinem Kopf und wurde zur Kerze. Was die Wölfe betraf, so hatte Heinz einfach Glück. Er stolperte recht früh über ein halb vergrabenes G36 – das Standardgewehr der Bundeswehr, gefertigt von der traditionsreichen Firma Heckler und Koch. Es war ein gutes Gewehr. Verarbeitet mit deutscher Präzision, ausgestattet mit einem modernem, doch zeitlosen Design und einer Zuverlässigkeit, die trotz gegensätzlicher Medienberichte für Heinz nie in Frage stand. Obwohl er das Gewehr ausschließlich im vollautomatischen Modus nutzte und oft mehrere Magazine hintereinander Richtung Wolf, Bär, Katze und andere feindliche Kombattanten abfeuerte, konnten weder er noch sie, nennenswerte Defizite hinsichtlich der Präzision bei einer Erhitzung der Waffe feststellen.
So ausgerüstet entschied sich Heinz, das Meer aufzusuchen. Er hatte Gutes darüber gehört.

Am Ende einer langen, schmierigen Reise, gesäumt von Tierkadavern und Patronenhülsen, kam Heinz, gekleidet in blutige Fellfetzen, an einem Strand in Südfrankreich an. Neben vielen verbrannten Hotels bot dieser, zu Heinz’ freudiger Überraschung, zwei blasshäutige Nordirinnen auf einem großen Badetuch, deren in Sonnencreme balsamierte Körper ebenfalls vom Virus verschont geblieben waren. „Hello, I’m Heinz“, sagte Heinz. „Hello Heinz“, antworteten die Frauen simultan und mit schwerem Akzent. Obwohl sie sich alle nicht sehr attraktiv fanden, hatten sie sehr viel Sex miteinander. Als Heinz zwei Monate später einem Herzinfarkt erlag, war das OK für ihn.

„Diese Geschichte hat mir gut gefallen“
Norbert Scheuch (H&K)