Sonatine für drei Füchse
von Pjotr Zapatov
ein weiteres Juanita-Shalima-Abenteuer
Juanita Shalima schleppte sich mit zerfetzten Knöcheln den steinigen steilen Steig hinunter. Die Begegnung mit der Fuchsbande steckte ihr in den Gliedern. Noch spürte sie jedoch genug Kraft, um das Dorf weiter unten rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Aus den Schornsteinen quoll ein dreckiger weißer Rauch, der das Rosa der Abenddämmerung zerriss.
Sie blickte sich um, und als sie sah, dass ihr keiner der Füchse
gefolgt zu sein schien, nahm sie ihren Rucksack ab und setzte sich für
eine letzte Pause auf einen Felsblock entlang des Weges. Verpflegung
hatte sie keine mehr, doch die kleinen Pause tat ihr gut. Sie schloss
für einen Moment ihre Augen, sog die kalte Abendluft ein und rieb sich
ihre Knöchel.
Eine Stunde später erreichte sie die erste Hütte des Dorfes. Ein
gekreuzigter Fuchsbandwurm auf zwei roh geschlagenen Fichtenhölzern
bildete das Ortsschild. In der Hütte konnte sie kein Licht ausmachen.
Das Dorf schien nicht groß zu sein, die Hütten schmiegten sich eng an
die Schwarzfichten im Tal. Zu beiden Seiten ragten Felswände steil
empor – zu steil, um dort hinauf zu klettern.
Dunkel lagen die Hütten nebeneinander, von Bewohnern keine Spur. Nur der weiße Rauch deutete darauf hin, dass sie nicht alleine im Dorf sein konnte. Sie pirschte leise über das feuchte Gras, hielt ihre Zwille dabei fest umklammert und hoffte dabei, möglichst schnell einen Schlafplatz für die Nacht zu finden. Der Rauch entstieg der vierten Hütte. Und tatsächlich war hier auch ein Licht auszumachen, wenn auch schwach. Juanita Shalima schlich sich vorsichtig an das Fenster heran und versuchte, hinein zu spähen. Die Scheiben waren mit dicken Dreckschichten überzogen, und Juanita musste mit ihrer Hand kräftig am Glas reiben, um überhaupt etwas zu erkennen.
Drinnen saß ein hässlicher Gnom auf dem Boden und war damit
beschäftigt, irgendetwas zu zerschneiden. Dabei ging er trotz seiner
äußerlichen Derbheit sehr behutsam vor. Mit einem kleinen Messer ritzte
er Streifen von einem nicht näher zu erkennenden Stück ab und legte sie
fein säuberlich neben sich in eine Reihe. War es ein Fleischstück, oder
ein Fisch? Durch das schmutzige Glas konnte es Juanita Shalima leider nicht deutlich
genug ausmachen. Weitere Personen waren nicht zu sehen. Der Gnom hatte
zwar ein Messer in der Hand, doch warum sollte er eine erschöpfte
Wanderin abweisen? Sie entschied sich, es darauf ankommen zu lassen,
und klopfte dreimal kräftig an die Tür.
„Chrah?“ entwich es dem Gnom.
„Sei gegrüßt!“ antwortete Juanita Shalima. „Gibt es in diesem Ort
wohl eine bescheidene Portion Fleisch zum Abendbrot und ein Lager für
die Nacht für eine erschöpfte Wanderin?“
Der Gnom sagte nichts und funkelte sie nur mit eisigen Augen an. Nach
einem kurzen unsicheren Moment der Spannung hob er langsam sein Messer,
spießte ein Stück Fleisch auf – es war tatsächlich Fleisch, wie sie
nun sehen konnte – und warf es auf einen kleinen Blechnapf.
„Da! Iss!“ bellte er. Vorsichtig näherte sie sich dem Napf, wobei sie der Gnom
keinen Moment aus den Augen ließ. Langsam nahm sie den Napf, roch am
Fleisch und biss hinein. Es war roh, aber zart. Während sie stumm
Bissen für Bissen zerriss und hinunter schluckte, konnte sie den Gnom
naher betrachten. Er hatte einen Glatzkopf, der mit Leberflecken
übersät war, darin steckten tiefliegende Augen. Seine Nase war breit
und abgefressen, unter den wulstigen Lippen sprießten drei dünne graue
Härchen. Unter den verhärmten Gesicht wölbte sich ein unansehnlicher
Kropf. Kleine fette Ärmchen stakten aus seinem Körper.
„Schmeckt wie Reh“, ließ sich Juanita schließlich hinreißen, um das Eis
zu brechen.
„Ist Reh!“ wieherte der Gnom, und schüttelte sich vor Lachen, nur um
Sekunden später wieder blitzartig in einen reglosen Zustand zu fallen -
nur seine Augen bewegten sich und fixierten sie.
Juanita Shalima ließ ihren Blick über das Zimmer schweifen. An der Wand
über den offenen Feuer hing ein Stalin-Porträt, es war bereits leich
abgeschubbert. Eine Ecke sah aus wie angebissen. Darüber befand sich
eine dicke Spinnwebe, die zur Ecke führte. Ein Fettfleck zierte die
ganze Ecke, es sah nicht schön aus. Dann gab es noch einen
Biedermeier-Sekretär, und eine antik aussehende riesige Vase, die fast bis zur
Zimmerdecke, welche zwar gedrungen, doch schon so viel Platz bot, dass
man bequem stehen konnte, ohne sich den Kopf zu stoßen, reichte.
Insgesamt war der Raum karg eingerichtet. Ein Bett war nicht zu sehen,
eine weitere Tür ebenfalls nicht. Schliefen Gnome nicht? Ihr Blick
kehrte zu dem Glatzkopf zurück.
„Dessert?“ fragte der unvermittelt? Er schien langsam Gefallen an
seiner Gastgeberrolle zu finden.
„Dessert? Warum nicht? Was…“
Weiter kam sie nicht - in einem atemberaubenden Knall flog die Tür in
den Raum und in Sekundenschnelle war alles in den dichtesten Rauch
getaucht! In der Tür stand eine Fuchssilhouette - nein, drei
Fuchssilhouetten! Die Fuchsbande hatte offenbar erfolgreich Witterung
aufgenommen! Juanita Shalima unterdrückte einen Schrei und warf sich
mit reflexartiger Wucht in Richtung Gnom, der vollkommen überrascht
schien und nur noch quieken konnte. Sie packte ihn am Kragen, rollte
ihn zu einer Kugel und beförderte ihn mit Schwung in Richtung Tür, wo
er die drei Füchse hart um kegelte. Sie flogen in alle Richtungen,
prallten an Türrahmen, Decke und Planken, und waren sofort tot.
„Strike!“ jauchzte Juanita, lief zum Gnom und entrollte ihn wieder. An
ihm klebte rotes Fell. Er sah erst sie verwirrt an, dann die toten
Füchse, und dann wieder sie.
„Ich hab noch einen Rest Vla da“ , konnte er noch sagen, dann fiel er
ihn Ohnmacht. Juanita verspürte einen Hauch Mitleid, hievte den Gnom
zärtlich auf ihren Rücken und legte ihn auf den Tisch ab.
„Ich liebe Vla!“ flüsterte sie.