Das Nachhausekommen
von Fjóðórur Rágnárson
Aus der Oktologie „Zwillensturm!“
Die firnbereiften Zinnen der Schwarzen Berge Zabusturiens leuchteten bereits blutrot im dräuenden Abendlicht. Williwald Zwillensturm, Sohn des Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von Sturmzwille, lag in seinem Lager aus Ahornblättern unterhalb des Brennenden Wanderers, der höchsten Erhebung der Finsteren Lande. Er blätterte in der letzten Ausgabe von „Held und Herd“, und freute sich schon angesichts der im Vierfarbdruck abgebildeten Illustrationen auf die Rückkehr in sein trautes Heim. Zwirm! Das Heft war in der Schlacht in der Klammen Klamm etwas in Mitleidenschaft gezogen worden, es hatte ein paar Eselsohren und die Seite Fünf war eingerissen, aber das würde er schon in Ordnung bringen, sobald er über die Feiertage zu Hause wäre. Endlich ein paar Tage frei, Zeit zum Lesen und Kleben! Williwald Zwillensturm, Sohn des Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von Sturmzwille, wusste da noch nicht, was hinter den Zinnen auf ihn warten würde.
Die Nacht war voller Wunder. Glühwürmchen tanzten lustig um sein
Schlaflager herum, Nachtigallen sangen phrygische Partituren, und sogar
ein Zwergwal flog hoch über den zarten grünen Trieben der Fichten. Williwald Zwillensturm, Sohn des
Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von
Sturmzwille war vollkommen friedlich und zufrieden, doch letzteres
musste schon ein Traumbild sein, welches ihn herüberwinkte ins
Schlummerreich. Zwergwale gab es doch gar nicht! Und schon zwinkerte
ihm ein zweiter, etwas größerer Zwergwal zu. Langsam dämmerte der Held
aus Zwirm weg.
Knacks! machte es im Gehölz. Da war was!
Ein Schatten
senkte sich über die Wange Williwald Zwillensturms, Sohn des
Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von
Sturmzwille! Und schon sauste ein Beil singend herab. Doch Williwald
war auf Zack und hatte sich im Nu weggedreht. „Pwuck“, machte das Beil, als es an Stelle des massigen
Schädels nur feuchte Erde traf. Der schwarze Torf spritzte hart auf.
Zwillensturm rotierte geschwind um seinen Attentäter von Angesicht zu
Angesicht zu sehen. Was er sah, war nicht gut. Ein riesenhafter Hüne,
getarnt als Zwergwal, funkelte ihn an und versuchte sofort, seine Axt
wieder aufzunehmen. Williwald Zwillensturms jedoch war nicht umsonst
der Sohn des
Greifen von Zwirm und die Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von
Sturmzwille. Mit einem Ausfallschritt kickte er die Axt hinfort, wo
sie für den als Zwergwal getarnten Hünen nicht mehr erreichbar war.
„Arrff!“, arrffte der. Williwald öffnete seine Gedankenschublade mit der
Aufschrift „Sechsundneunzig Todbringende Fausthiebe, hinteres Fach“,
fischte Nummer Siebenundsiebzig heraus und hieb dem Zwergwalhünen auf
die Nase. Er war sofort tot und hinterließ ein Bündel Fragen. Wo war er
hergekommen? Aus der Grauen Sanddornwüste der Westlande? Aus dem
Dunkelgrünen Schlehenwald hinter den Südlichen Städten? Aus den
Pfeifenden Löchern unter den Östlichen Steppen? Oder
kam er womöglich aus dem Norden? Hinter der Mauer war seit
Jahrhunderten niemand mehr gewesen. Schon möglich. Williwald Zwillensturms, Sohn des
Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von
Sturmzwille, legte sich wieder hin, konnte aber keines seiner
verbliebenen Augen für den Rest der Nacht zutun. Er holte sein Heft
nochmal heraus, machte das Sudoku auf der letzten Seite, und sinnierte
über die Niedertracht der Welt.
Am nächsten Morgen…
Die Wasserburg hatte bessere Tage gesehen. Doch seit der grausam
fehlgeschlagenen Hochzeit von Firin, dem Wasserlurch von Gnaz, und
Zabosch dem Zweiten, waren die Verliese kaum noch von den Gemächern zu
unterscheiden. Hier wie dort tropfte unerlässlich gelbliches Wasser
durch die Gemäuer und hinterließ ein ungesundes feuchtes Klima. Die
jetzigen Bewohnerinnen der Burg, die Alten Nymphen von Plarf, hatten
sich alle Mühe gegeben, wenigstens eine grundlegende Bewohnbarkeit zu
sichern. Sie hatten ein Schild aufgestellt, „Schloss Nymphenburg“. Und
darunter, etwas kleiner: Gäste willkommen, zwei Nächte
Mindestaufenthalt, Zahlung nur im Voraus“. Und mit einer guten Prise Wohlwollens konnte man sich als Gast
tatsächlich einrichten. Schwarzfeuer Schlechtgeruch nahm noch eine
Zuckerstange von der morschen Anrichte und leckte gierig daran. Da
klopfte es an der Tür. Schwarzfeuer war auf der Hut. Wer mochte das
sein? Und als hätte sie es geahnt, kam es prompt von der anderen Seite
der Tür: „Schwarzfeuer! Ich bin es, mach auf!“
Elfie? Das war Elfie! Ein freudiger Ruck fuhr durch Schwarzfeuer, er
steckte die angelutschte Zuckerstange schnell unter das Kopfkissen und
erhob sich, um mit flinkem Schritt zur Tür zu eilen.
„Elfie! Warte, ich mache nur kurz auf!“
Schlechtgeruch fummelte an seinem Schlüsselbund und machte sich daran,
das rostige Schloss zu öffnen, was ihm auch nach ein paar Minuten
endlich gelang. „Elfie!“, stieß er aus, um im nächsten Augenblick
voller Schrecken zurückzufahren. „Was… wie?“
Hinter der Tür stand keine Elfie! Es war Williwald Zwillensturm, Sohn des
Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von
Sturmzwille! Heimtückisch hatte er seine Stimme verstellt, und wie um
sein Opfer zu verhöhnen, fuhr er in der gleichen Stimmlage fort:
„Schwarzfeuer! Lieber Schwarzfeuer! Ich bin es, deine…“, seine Stimme
schlug jäh um in den dröhnenden Bass seines tatsächlichen Selbsts,
„WILLIWALD!“
Schwarzfeuer war baff! Aber er hatte noch ein Ass im Ärmel. Schnell wie
ein Molch aus der Trüben Tundra von Hallmarsch wandte er sich um und
sprintete zu seinem Nachttischchen. Williwald setzte ihm sofort nach,
doch seine Vorteile lagen im freien Gelände, so dass er wertvolle
Sekunden an der Tür verlor. Schwarzfeuer Schlechtgeruch fischte seine
angelutschte Zuckerstange behände unter dem Kopfkissen hervor und
wirbelte herum. „Ha!“ Er hielt die Süßigkeit mit beiden Fäusten
fest umschlossen und zeigte mit ihr drohend auf den Eindringling.
„Soma guri ri-ka-no! Klebri klabri abra-xo!“, gurrte es aus
Schlechtgeruchs Kehle. Williwald Zwillensturms, Sohn des
Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von
Sturmzwille, war irritiert. Irgendetwas veränderte sich im Raum. Die
Luft, sie wurde zäh, geradezu klebrig! Er versuchte einen Schritt nach
vorne, doch er konnte nur hilflos mit seinem Bein in der Luft wanken.
Der miese Magier hatte sein Ass gezündet.
„Ha! Haha! Hahaha! Es funktioniert! Es funktioniert!“
Schwarzwasser konnte es nicht fassen, sein Zauber wirkte! Hilflos wand
sich sein Opfer, war das das Ende von Williwald Zwillensturms, Sohn des
Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von
Sturmzwille?
Zwei Wochen später…
Der Tannenbaum war bereits aufgestellt, funkelnde Geschenke lagen ihm zu Füßen, Nadeln steckten in den Ästen, sie hielten kleine Schrumpelköpfe von erledigten Erzfeinden in Reih und Glied. Heute war der große Tag des Nachhausekommens. Endlich! Williwald Zwillensturms, Sohn des Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von Sturmzwille, hatte es doch noch geschafft, dem miesen Magier zu entkommen, und auf welch unverwechselbare Art und Weise! Das ist Stoff für eine Geschichte, er musste sie unbedingt aufschreiben. Doch erstmal Geschenke auspacken. Und dann eine Partie Schach mit Elfie. Eigentlich müsste sie längst hier sein, dachte er. Und als er das noch dachte, klopfte es auch schon an der Tür. „Elfie! Warte, ich mache nur kurz auf!“