Schrödingers Henker
von Morioto Clamauko
Es begab sich aber zu der Zeit, als Erwin – der „schlaue Erwin“,
wie er von vielen genannt wurde – seinen Lehrstuhl im schönen
Institut für weiterführende Studien in Dublin innehatte. Erwin war
ein Schwerenöter, was aber hier nichts zur Sache tut. Wild
gestikulierend stand er vor seinen Studenten und erörterte sein
neuestes Experiment:
„Leute, hier, so funktioniert das!“, schrie er, viel zu laut für
den kleinen Hörsaal.
„Ein Kasten, zack, stell ich auf den Tisch. Mach ich auf, tu ich
rein: ein Atom.“
Er tat ein Atom in den Kasten.
„Tu ich auch noch rein: einen Hammer, ‘nen richtig schönen, schweren
Hammer! Frisch aus dem Hornbach. Den binde ich hier um das Atom. Mit
Kordel.“
Mit einer Kordel band er den Hammer so um das Atom, dass dieser
runterfallen würde, wenn das Atom zerfiele.
„Und jetzt, darunter… GIFT!“
Er holte eine Ampulle aus der Tasche und präsentierte sie dem
Publikum, das mit offenen Mündern in seine Richtung starrte. Gift? Ist
das nicht saugiftig? Aber es sollte noch besser kommen. Der schlaue Erwin griff in seine Tasche.
„Ich präsentiere, das Highlight meines Versuchs: eine Katze!“
Erwin zeigte die echte, lebendige Siamkatze in die Runde.
„Miau“, miaute sie.
„So, passt mal auf jetzt. Die Katze lege ich auch noch in den Kasten
und dann bretter ich den zu.“
Der schlaue Erwin drückte die Katze in den Kasten und hämmerte diesen
mit einem Brett, einigen Nägeln und einem externen Hammer zu (nicht
mit dem Hammer im Kasten, mit Verlaub).
Die Zuschauer waren sprachlos, Erwin prasselte dagegen umso mehr
weiter:
„So: Wenn jetzt das Atom zerfällt, dann fällt der Hammer runter und das Gift macht der Katze den Garaus. Aber der Zerfall des Atoms, das ist ein quantenmechanischer Prozess, der tritt ein, oder auch nicht. Vielleicht ganz schnell, vielleicht nie oder er tritt ein und gleichzeitig auch nicht, oder wie? Nicht Fisch, nicht Fleisch! Was sind das denn für Zustände hier???“
Der schlaue Erwin stampfte mit dem Fuß auf den Boden.
„Ich sag’s euch: Zwischenzustände sind das!!! Habt Ihr das kapiert?“
Die Meute nickte langsam und immer noch mit geöffneten Mäulern –
Erwin schlug mit der Faust in die Luft.
„Ihr habt’s kapiert? Dann hab ihr’s nicht kapiert!“, rief er mit
Schaum vorm Mund. „Nur wenn ihr es nicht kapiert, DANN habt ihr es
kapiert. Aber vielleicht auch nicht.“
Erwin nahm den Versuchskasten in die Hand und rannte aus dem Hörsaal,
schluchzte wie ein Tiger und aß dabei einen Snickers Riegel. Das
Publikum ließ er ratlos zurück.
Während sich der Hörsaal langsam leerte, blieben Inge und Xavier auf
den unbequemen Holz-Klappstühlen gedankenversunken hocken. Inge war
eine arbeitslose Tierschutz-Aktivistin, die nur zufällig in die Uni
gekommen war, weil sie mal aufs Klo musste und Xavier war ein gewiefter
Jura-Student, der sich in der Vorlesung geirrt hatte. Die beiden sahen
sich an und kamen ins Gespräch über das gerade gesehene. Es
faszinierte sie beide, aber nicht aus quantenphysikalischen
Gesichtspunkten, sondern eher aus ethisch-rechtlicher Sicht.
Zwei Stunden später saßen Inge und Xavier bei einem Pint in einem Pub
und beratschlagten, wie man nun vorgehen sollte.
Inge sagte: „Der Typ ist ein Katzenmörder, an den Strick mit dem.
Oder was meinste, Xavier?“
Xavier war sich der Sache nicht ganz sicher: „Inge, das wissen wir
doch gar nicht. Die Katze ist vielleicht quietschfidel, die freut sich,
dass sie in dem Kasten ungestört mal ein gutes Buch lesen kann oder
jodelt sich halt einen. Wir können den Professor Schrödinger aus
juristischer Sicht nicht einfach aufknüpfen.“
„Wir könnten ihn ja vielleicht zumindest heftig vermöbeln?“
brachte Inge als Vorschlag ein.
„No way, Inge“, entgegnete Xavier, „ich will ja auch was machen
gegen diesen Katzenmörder-nicht-Katzenmörder, aber es muss schon
alles mit rechten Dingen zugehen. Lass uns weiter sinnieren.“
Und so brüteten die beiden weiter darüber, was man da so machen
könne, tranken ihr Ale und dann noch eins.
Nachdem jeder soviel Bier getrunken hatte, dass er oder sie kaum noch
stehen konnte, taumelte Xavier aufs Pissoir. Als er wiederkam, lallte
er: „Ich… ich seh alles doppelt. I hab… hab hier zwei Bier, hier.
Und du, du bist die doppelte Inge, hicks.“
Er kotzte sich kurz selbst in den Mund, dann rief er: „Ich hab es!
Ich HAB es!“
Inge blickte besoffen rum, die Augen auf Halbmast, aber doch auch
interessiert, was Xavier jetzt wohl im Schilde führte.
Er rief laut und enthusiastisch schwankend: „Inge! INGE! Gehe hin und
gründe ZWEI Tierschutz-Organisationen. Beide müssen den selben Namen
tragen, das selbe Logo haben, die selben Mitglieder, das selbe
Spendenkonto, zum Teufel, sie müssen sogar gleich müffelig
stinken!“
Inge raffte nix mehr, aber sie nickte.
Sieben Tage später saß ein junger Advocat mit glänzend-gestriegeltem
Haar und feinem Zwirn in seiner schicken Kanzlei in der Wellington
Street 120, als plötzlich fünf Tierschützerinnen hereinstürmten.
Der Advocat rümpfte die Nase, denn die Damen rochen muffig nach altem
Hasen. Die Anführerin, eine gewisse Inge, knallte dem Anwalt
schnaufend einen Stapel Akten auf den Tisch: „Hier, Herr Jurist
Xavier von Ömmelsberg, wir möchten anklagen! Wir sind vom
Tierschutzverein Vierpfoten-Power. Dieser Mann, Professor Schrödinger
von einer Fakultät in Dublin ist ein Katzenmörder!“
Der Anwalt – der nebenberuflich übrigens auch Richter war –
blickte hinter seinem Monokel auf und sah sich ohne ein weiteres
Verziehen der Miene die Akten durch: Katze in Kasten gesteckt… Gift,
Hammer… Atom… sich überlagernde Zustände…
Nach wenigen Augenblicken sah er auf, blickte die aufgebrachte Meute
der Tierschützerinnen an, zückte sein Holzhämmerchen und sagte
gebieterisch: „Der Mann ist kein Katzenmörder! Die Anklage wird
abgewiesen. Das Urteil lautet: Unschuldig. Freispruch!“ Er knallte
den Holzhammer auf den Tisch. Ende der Vorstellung.
Inge, die Anführerin, nahm den Stapel Akten vom Schreibtisch,
schnappte sich ihre Gefolgsleute und verließ das Büro. Draußen vor
der Tür rauchten sie alle erstmal ein Lungenbrötchen, wobei Inges
Tierschutz-Kolleginnen auf sie einredeten:
„Wie kannst du dich so schnell von dem abwimmeln lassen? Wir hätten
viel mehr diskutieren müssen!“
Doch Inge hatte ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen und beruhigte
ihre Begleiterinnen.
„Wartet’s nur ab“, sagte sie schnippisch.
Keine fünf Minuten später saß der junge Advocat mit
glänzend gestriegeltem Haar und feinem Zwirn immer noch in seiner
schicken Kanzlei in der Wellington Street 120, als plötzlich wieder
die fünf Tierschützerinnen hereinstürmten. Der Advocat rümpfte die
Nase, denn die Damen rochen muffig nach altem Hasen. Die Anführerin
– immer noch eine gewisse Inge – knallte dem Anwalt schnaufend
einen Stapel Akten auf den Tisch: „Hier, Herr Jurist Xavier von
Ömmelsberg, wir möchten anklagen! Wir sind vom Tierschutzverein
Vierpfoten-Power. Dieser Mann, Professor Schrödinger von einer
Fakultät in Dublin ist ein Katzenmörder!“
Der Anwalt – der nebenberuflich übrigens immer noch Richter war –
blickte hinter seinem Monockel auf und sah sich ohne ein weiteres
Verziehen der Miene die Akten durch: Katze in Kasten gesteckt… Gift,
Hammer… Atom… sich überlagernde Zustände…
Nach wenigen Augenblicken sah er auf, blickte die aufgebrachte Meute
der Tierschützerinnen an, zückte sein Holzhämmerchen und sagte
gebieterisch: „Der Mann ist ein Katzenmörder! Die Anklage ist
juristisch standhaft! Das Urteil lautet: Tod durch Strick!“
Er kramte in seiner Schreibtisch-Schublade herum, in dem schon ein
sauber gedrehter Henkersknoten lag und warf ihn Inge zu. Inge warf ihm
im Gegenzug einen schelmische Blick und ein Zwinkern zurück. Der Plan
war aufgegangen. Und er war perfekt.
So wurde Schrödinger noch am selben Tag abends auf dem Scheiterhaufen
aufgeknöpft bis er tot war. Und so tragisch es für ihn auch ausging,
so juristisch korrekt verlief der Prozess doch, und wird noch heute in
den Lehrbüchern für junge Richter und Henker oft zitiert.
The End.
…absolut tragfähiges Urteil… Präzedenzfall…
Auszug aus dem Abschlussbefund des Bundesgerichtshofs
Ich lese nicht, ich kämpfe.
Ein Ninja