Dominik
von Marlène Bartholomæ-Feuersbrunst, Kurprinzessin von Geiersberg
Wie jeden Morgen führte sein Gewissen Dominik als allererstes ins Arbeitszimmer, noch vor einem möglichen Besuch des Cloisettes. Er öffnete die knarzige alte Türe, griff um die Ecke und startete die Licht-Anlage. Da standen sie: perfekt aufgereiht, ordentlich, in unberührtem Glanze, so wie er sie am Abend zuvor gestellt hatte. Seine Kinder: die Domino-Steine. 16.428 Stück. Ein warmer Schauer überkam ihn beim Anblick und auf dem Weg zum Badezimmer überlegte er, wie lange er an diesem, seinem jüngsten Kunstwerk, wohl noch bauen wollen würde, bevor er den Höhepunkt einleitete. „Drei Tage“, entschied er, nickte sich selbst im großen Flurspiegel anerkennend zu und startete frisch und enthusiastisch seinen Tag.
Drei Tage später, nachdem der Youtube-Livestream seines letzten Domino-Spektakels – wieder mal ein clickrate-mäßig herausragendes Event – vorbei war, saß Dominik mit einem Southern Comfort in seinem Ohrensessel und beobachtete seine Gefühle. Was vor wenigen Sekunden noch Stolz und Extase war, hatte sich augenblicklich aufgelöst, wie eine Wolke, die von extremen Sonnenstrahlen am Firmament zerfressen wurde. An diese Stelle drängte nun mit aggressiver Gewalt eine ganz andere Emotion: die Gier nach mehr. Größeres sollte fallen als nur Steine aus Elfenbein. Gewichtigere Dinge sollten in unaufhaltbare Bewegung geraten. Die Clickrates sollten durch die Decke gehen!
Dominiks erste Idee war fabelhaft: Auf dem Standstreifen der A5 wollte
er nachts 400 schrottreife PKW seitlings und dicht nebenheinander
aufreihen, um damit eine Fall-Arie in Gange zu setzen, wie die Welt sie
noch nicht gesehen hätte. Gedacht, getan. Er machte sich daran, einen
Plan auszutüfteln. Als erstes bräuchte er die Autos. In den gelben
Seiten fand er einen ausländischen Schrotthändler, der ihm die
gewünschten Automobile ausliefern würde. Die Bezahlung sollte in
thailändischer Währung ablaufen (das hätte Dominik bereits stutzig
werden lassen sollen), aber der Preis war nach Dominiks Umrechnung per
Nutzung des World Wide Web doch sehr günstig! So viele Schrott-Autos
zu einem so geringen Preis. Toll.
Nach dem Prinzip „erst das Geld, dann die Ware“ sollte es eine
Übergabe der Kohle geben. Dominik brachte den mit Scheinen prall
gefüllten Koffer zum Schrotthändler. Angekommen in dessen
„Office“ musste er erstmal aufstoßen. Er hatte auf dem Weg bei
einem Burger-Restaurant gegessen und zu wenig Majonaise auf seine
Beilagen-Pommes geschüttet. Jetzt war ihm schlecht.
Er grüßte den Schrotthändler mit einem schnellen Heben des Arms, der
ihm schon kurz nach der Durchführung etwas peinlich war, weil er
eventuell von außen betrachtet wie ein Hitler-Gruß hätte wirken
können. Dem Schrotthändler war das weder aufgefallen, noch irgend
etwas anderes außer komplett scheißegal, denn er wollte nur das Geld
sehen.
Mit einer eleganten Bewegung schwang Dominik den Koffer auf den Tisch
des fetten Händlers und öffnete „Schnapp… Schnapp“ die goldenen
Verschlüsse. Bevor er den Deckel des Koffers öffnete, fragte Dominik
nochmal nach:
„Sie haben auch die Schrottkarren für meinen großen Dominotrick,
ja??“
Der fette Händler nickte und spuckte auf den Boden seines Büros.
Dominik öffnete stolz den Koffer und blickte in das Gesicht des Händlers. Doch was sah er darin? Enttäuschte Wut! Warum?
„Was soll das!?! Was ist das!?!“, schrie ihn der Händler an.
Dominik war erstaunt und stammelte: „Das ist, was Sie wollten! 200.000 in Baht!“
Der Händler schlug mit platten Hand auf den Tisch. Sein Bierglas fiel um.
„In BAR hab ich gesagt, du elender Volltrottel! Was soll ich mit
diesem Thai-Scheiß!“
Er nahm ein Bündel Scheine in die Hand und warf es durch sein Büro. Dann nahm er noch ein Bündel Scheine in die Hand und warf es Domi in die Fresse.
„Geh kacken, Alter, raus hier!“, schrie er ihn an.
Dominik nahm die Beine in die Hand und sprintete los. Er flitzte so
schnell er konnte, so weit ihn die Füße trugen. Dann brach er
zusammen und weinte. Schluchzte. Auf dem Beton-Boden einer Querstraße
im hässlichen Industriegebiet von Essen Katernberg lag er und schlug
auf dem Rücken liegend in die Luft. Die Welt war gegen ihn. Die Welt
hasste ihn. Er wollte etwas GROSSES bringen, doch alle stellten sich
ihm in den Weg. Er kotzte. Dabei kam er auf eine Idee. In seinem
eigenen Erbrochenen liegend nahm er sein Mobiltelefon in die Hand und
recherchierte etwas. Ja, haha! Warum war er da nicht eher drauf
gekommen? Warum hatte er immer nur daran gedacht, den Domino-Effekt zu
vergrößern, indem er immer größere Domino-Steine stellen wollte? Er
musste in die andere Richtung denken. Große Dinge erreicht man
manchmal auch mit klitzekleinen Teilchen. Atomen, um genau zu sein.
Dominik lachte ein grauenhaftes Lachen. Voll Kotze am Arm richtete er
sich auf und reckte die Hände wie ein Sieger nach oben:
„Hauaauauauaaaaaaa“, schrie er in den Nachthimmel.
Als am nächsten Tag ein kleiner libanesischer Junge auf seinem Weg zur
Schule ein Handy in einer Kotze-Lache fand, wunderte sich dieser nicht
schlecht. Das Handy war gut erhalten! Wer ließ so etwas einfach
liegen? Ich will es euch sagen: es war Dominik. Er hatte es einfach
liegen gelassen, weil er einen teuflischen Plan hegte und sich nicht
durch Kleinigkeiten wie Handy aufheben daran zögern lassen wollte.
Der kleine Libanese las die Google-Suche auf dem Bildschirm:
„Kettenreaktion Atome Kraftwerk“. Komische Suche. Der
Libanesenjunge befreite das Handy von Erbrochenem und steckte es in
seinen Tornister.
Eine Woche später ging im größten Atomkraftwerk des Landes eine
Bewerbung als Putzkraft ein. Von einer ungelernten Fachkracht, Vorname
„Dominik“.
Zwei Wochen später löschte das größte Atom-Unglück der Geschichte die koplette menschliche Bevölkerung des Planeten Erde aus.
The End.
Affenartig geil. Ugha!
Schimpanse „Bello“ aus dem Frankfurter Zoo.