Hammerzahns Fünf
von Viktor Tanz
„Ein Baum, ein Baum, er will nicht sein ein Zaun!
Ein Pflaum, ein Pflaum, oh nein, es fällt der Pflaum!“
So der Wortlaut des Gedichts, das Jungfernhannes gerade im Staatstheater mit zittriger Stimme und schweißnassen Augen vorgetragen hatte. Es war sein erstes Gedicht und das erste Mal in seinem Leben, dass er es öffentlich vorgetragen hatte. Er war sehr aufgeregt. Nicht nur das Lampenfieber hatte ihn fest im Griff, auch die Aussicht auf einen Job als Gedichteschreiber für das Staatstheater setzte ihn enorm unter Druck. Aber wegen dem Job waren sie alle hier: Jungfernhannes, Augentyp, Ralle-Ralle Rommel (direkt verwandt mit dem Wüstenfuchs), Esther Schwingt und der Tropfende Björn. Allesamt aufstrebende junge Dichter und allesamt von Jugendarbeitslosigkeit bedroht.
„So eine dumme Scheiße habe ich ja wohl noch nie gehört!“ raunzte der alte Theaterdirektor Hammerzahn in Richtung Bühne. Ihm liefen dabei Speichel und Eiter aus allen Öffnungen und Winkeln seines Gesichts. Seine Augen waren kleine, milchige Kugeln die aus einem mit dreckigem Leder überzogenen Schädel heraus hassten. Er spuckte mehr als er sprach und ein gewaltiger Tumor sorgte dafür, dass ihm konstant gelbliche Körperflüssigkeit aus den Ohren lief. Jungfernhannes trafen die harten Worte wie ein Eimer Messer. Er war zutiefst verletzt. Vielleicht war es aber auch die Klinge von Esthers Schwingts Dolch, die sie ihm heimlich in den Rücken gerammt hatte, welche ihm Unbehagen bereitete? „Oh“, dachte Jungfernhannes. Die Aufregung hatte ihn die direkte Gefahr, die von seinen Konkurrenten ausging, für einen kurzen Moment vergessen lassen und nun war es zu spät. Enttäuscht sackte er tot zu Boden. „Na ein Glück!“, lachhustete der alte Hammerzahn. Bevor er die Direktion des Staatstheaters übernahm, hatte sich der gebürtige Hesse als engagierter SS-Mann einen Namen gemacht. „Zeig mal, was du drauf hast, Püppchen!“ Hammerzahn grinste Esther Schwingt an und die junge Arbeitslose bekam plötzlich furchtbare Angst vor einem Darmverschluss. „Mach jetzt nicht schlapp! Denk’ an He-Man!“ murmelte sie zu sich selbst. Esther Schwingt holte aus:
„Oh was poltert da, oh was rollt denn da?
Ist es der Otter? Ist es der Otter?
Vielleicht ein Otter? Vielleicht ein Otter?
Wo, nur wo, wo bist du denn, oh Otter?“
„Friss Glas, du untalentierte Hexe!“, schrie Hammerzahn mit der schrillen Stimme eines sich unfair behandelt fühlenden Kindes. Dabei mischte sich ein nicht unerheblicher Anteil von Blut in seine hasserfüllte, klumpige Spucke. „RAUUUUUUUSSSSS!“, brüllkotzte er Esther Schwingt an. Die junge Frau stand starr vor Schock und rührte sich nicht von der Stelle. Mit einer subtilen Bewegung seiner knöchernen, fleckigen Hand alarmierte Direktor Hammerzahn das Wachpersonal. Zwei grau uniformierte Hünen begleiteten die junge Dichterin in den Keller. Ihre Familie wurde per Post informiert.
Da der tropfende Björn gerade in der Maske von Augentyp mit einem Maiskolben drangsaliert wurde, drängelte sich Ralle-Ralle Rommel vor. Leichten Fußes tänzelte der coole, gut gegelte Fünfzehnjährige über die Bühne, während er auf der Schulter einen altertümlichen Ghettoblaster balancierte. Am Ende der Bühne angekommen blickte er erwartungsvoll mit einer cool hochgezogenen Augenbraue den Direktor an. Nach ein paar Sekunden völliger Stille fauchte dieser „Was denn?! Wann geht’s los?! Arschloch!“ Ralle-Ralle nickte ihm cool zu „Ich dachte schon, Sie würden nie fragen.“ Und drückte die Abspieltaste seines überdimensionalen Kasettenrekorders. Ein unfassbar cooler Beat erfüllte den Raum, nach ein paar Takten legte Rommel los:
„Hallo, gestatten, mein Name Ralle-R.
Ich bin ziemlich easy drauf und immer sehr lock-er
Ob unten in der Disco, oder oben auf der Yacht
Gibt die Schlampe Widerworte, wird sie umgebracht.“
„Schon besser…“ speichelte Hammerzahn.
„Ich komm von der Straße von ganz unten nach ganz oben
Würde für HipHop sterben, Hobbies? Nutten, Waffen, Drogen!
Keiner ist so gut wie ich, alle sind sehr schlecht
Keiner flowt so smooth wie ich – echt!“
„Nur noch 4 Bars. Du kannst es schaffen, Tiger!“ sagte sich der coole Rommel und rappte weiter.
„Ralle rollt mit dem Benz nach Haus
Reimt Haus auf Maus und bekommt dann Applaus
So sieht es aus, jetzt alle raus,
Ich bin crazy und leugne den H…“
Doch bevor Ralle-Ralle sein „Gedicht“ zu Ende bringen konnte, wurde die Tür zum Theater aufgestoßen und eine Gruppe bewaffneter extravaganter Vermummter stürmte den Saal. Es waren die Schauspieler des Laientheaters, die gekommen waren, um sich die Räumlichkeiten des Staatstheaters zu krallen.
„Alle Mann an die Waffen!“, schrillte Direktor Hammerzahn und erhob einen gewaltigen Reitersäbel, der sich scheinbar aus dem Nichts manifestiert hatte.
„Tötet Sie und bringt mir ihre Köpfe!!!“, gallte er weiter. Alle Mitglieder des Staatstheaters, selbst die überlebenden Jungdichter, sammelten sich um den alten Direktor, um sich den üblen Schergen des Laientheaters zu stellen. Nun würde sich zeigen, wer bereit war, für das Theater zu sterben. Ihre Familien wurden per Post informiert.
Posthum veröffentlichtes Bewerbungsgedicht von Augentyp:
„Auf einer Wiese grast ein Aal
Glitschig, flitschig, schmal.
Auf einem Berg da laust ein Ei
Fällt es runter – au wei!“
Posthum veröffentlichtes Bewerbungsgedicht vom Tropfenden Björn:
„Garfelstruch auk hemtpom Sinen!
Ok tawarf dem Hammok winen!
Eirafraff gar golim Wu!
Estnatrach dem humwin’ gu!“