An Ostern nichts Neues
von Prof. Gollum Sternhagel
Gassen der Verlassenheit. Trottoir ohne Stil. Beton-Erektionen,
eichenhaft aber seelenlos. Frankfurt, meine Perle vor die Säue.
Diese Stadt, die an Feiertagen so leer ist, dass die Hochhäuser
vor Einsamkeit schluchzen. Wo sonst Geschäftigkeit herrscht,
regiert nun Ödnis. Einsame Penner schleichen langsam, wo
sonst Frauen in schicken Business-Kostümen und Männer im
feinen Zwirn zwischen den Niederlassungen der internationalen
Finanzkonzerne hin- und her rennen. Die Menschen brauchen
diese Stadt nicht, doch ohne die Menschen ist die Stadt ein
verlassenes Schlachtfeld.
Wie ein Suchender wandle ich zwischen den Türmen umher. Ein
Wachmann nickt mir nicht zu. Er erkennt mich nicht. Sonst
würde er mich wahrscheinlich um ein Autogramm bitten oder
seinen Hosenstall einen Spalt weit öffnen. Ich atme die
trockene Luft ein, sauge sie in meine Kiemen und stoße einen
Schwall grüner Lava aus.
Ich lustwandle, berühre einen Tower und spüre seinen
Herzschlag. Lebt er noch? „Ja“, sagt er. „Aber ich leide. Ich habe
einen Bruder in New York, den ich schon sehr sehr lange nicht
gesehen habe. Er steht in Queens, ich glaube, er hat ADHS.“
Ich weiß nicht, was ich mit dieser Information anfangen soll, ich
schreite weiter.
Kaum Sonne dringt hier durch die Spalte zwischen den
Wollkenkratzern, nur hier und da mal und dann brennt sie. Ich
schaue nach oben. Wieviele Stöcke hier wohl
aufeinandergeschichtet wurden. Und wie der Architekt sich
wohl gefühlt hat. Ist doch immer das gleiche, wenn man so
hoch baut. Jedes Geschoss, eines auf dem anderen. Der
Architekt hat sich bestimmt am Ende von ganz oben selbst
runtergeschubst, so langweilig war ihm ums Herz.
„Manschare, Manschare“, tönt es plötzlich von irgendwoher,
nicht weit entfernt. Ich blicke mich um, doch sehe niemanden.
„Manschare, Manschare, ariba!“
Nochmals diese Stimme, diesmal lauter und bestimmender.
Ich schaue nach rechts, nach links, nach oben, nach unten. Da!
Nur einen Meter entfernt von mir, zwischen den Streben eines
Gullideckels ruft der Kellner eines spanischen Gulli-Restaurants
mir zu.
Er öffnet den Deckel einen Spalt und winkt mich ran, reicht mir
ungefragt die Speisekarte hoch. Es gibt eine reguläre Karte,
sowie eine Wochenkarte mit vier Oster-Speisen: Huhn, Lamm,
Schwein und ein Fischgericht mit Hai. Hört sich alles gut an.
Hunger habe ich auch und so willige ich ein, das Restaurant zu
besuchen. Der Kellner schiebt den Gullideckel zur Seite, steigt
herab und winkt mir, ihm zu folgen.
Wir kriechen einen Kanalisationsgang entlang, dann erreichen
wir den Restaurant-Bereich. Ich bin der einzige, lasse mich an
einem schönen Tisch in der Nähe der Bar nieder.
Ich bestelle ein kleines, alkoholfreies Bier, sowie alle Speisen
der Wochenkarte, ich möchte mich richtig überfüttern heute.
Was ich auch tue.
Als ich zwei Stunden später wieder nach oben durch den Gulli hoch klettere, passe ich fast nicht mehr durch das Loch. Doch satt bin ich, das kann ich nicht leugnen. Ich drücke mich hoch, stehe wieder auf dem Bürgersteig. Immer noch menschenleer die Straße, die Sonne geht gerade unter. Gemächlich mache ich mich auf den Weg nach Hause, schmeiße hier und da mal eine Scheibe ein, bin aber sonst ziemlich emotionslos drauf. Ich sollte nächste Ostern mal wo anders hinfahren. Nach Dresden zum Beispiel oder nach Mainz. Da erlebt man vielleicht was.
Die Spannungskurve dieser Erzählung gleicht (einem)
stehenden (Güterzug)
Zitat des Autors aus einem Interview mit CNN aus dem Jahr
1994
Gestrickt mit Poesie, gespickt mit Ironie, verzwickt, was ein
Genie!
Fan, der immer in Reimform lobt