Gruppe 13


Räuberpistolen für den Hausgebrauch


An Ostern nichts Neues

von Prof. Gollum Sternhagel

Gassen der Verlassenheit. Trottoir ohne Stil. Beton-Erektionen, eichenhaft aber seelenlos. Frankfurt, meine Perle vor die Säue. Diese Stadt, die an Feiertagen so leer ist, dass die Hochhäuser vor Einsamkeit schluchzen. Wo sonst Geschäftigkeit herrscht, regiert nun Ödnis. Einsame Penner schleichen langsam, wo sonst Frauen in schicken Business-Kostümen und Männer im feinen Zwirn zwischen den Niederlassungen der internationalen Finanzkonzerne hin- und her rennen. Die Menschen brauchen diese Stadt nicht, doch ohne die Menschen ist die Stadt ein verlassenes Schlachtfeld.
Wie ein Suchender wandle ich zwischen den Türmen umher. Ein Wachmann nickt mir nicht zu. Er erkennt mich nicht. Sonst würde er mich wahrscheinlich um ein Autogramm bitten oder seinen Hosenstall einen Spalt weit öffnen. Ich atme die trockene Luft ein, sauge sie in meine Kiemen und stoße einen Schwall grüner Lava aus.
Ich lustwandle, berühre einen Tower und spüre seinen Herzschlag. Lebt er noch? „Ja“, sagt er. „Aber ich leide. Ich habe einen Bruder in New York, den ich schon sehr sehr lange nicht gesehen habe. Er steht in Queens, ich glaube, er hat ADHS.“ Ich weiß nicht, was ich mit dieser Information anfangen soll, ich schreite weiter.
Kaum Sonne dringt hier durch die Spalte zwischen den Wollkenkratzern, nur hier und da mal und dann brennt sie. Ich schaue nach oben. Wieviele Stöcke hier wohl aufeinandergeschichtet wurden. Und wie der Architekt sich wohl gefühlt hat. Ist doch immer das gleiche, wenn man so hoch baut. Jedes Geschoss, eines auf dem anderen. Der Architekt hat sich bestimmt am Ende von ganz oben selbst runtergeschubst, so langweilig war ihm ums Herz. „Manschare, Manschare“, tönt es plötzlich von irgendwoher, nicht weit entfernt. Ich blicke mich um, doch sehe niemanden. „Manschare, Manschare, ariba!“
Nochmals diese Stimme, diesmal lauter und bestimmender. Ich schaue nach rechts, nach links, nach oben, nach unten. Da! Nur einen Meter entfernt von mir, zwischen den Streben eines Gullideckels ruft der Kellner eines spanischen Gulli-Restaurants mir zu. Er öffnet den Deckel einen Spalt und winkt mich ran, reicht mir ungefragt die Speisekarte hoch. Es gibt eine reguläre Karte, sowie eine Wochenkarte mit vier Oster-Speisen: Huhn, Lamm, Schwein und ein Fischgericht mit Hai. Hört sich alles gut an. Hunger habe ich auch und so willige ich ein, das Restaurant zu besuchen. Der Kellner schiebt den Gullideckel zur Seite, steigt herab und winkt mir, ihm zu folgen.
Wir kriechen einen Kanalisationsgang entlang, dann erreichen wir den Restaurant-Bereich. Ich bin der einzige, lasse mich an einem schönen Tisch in der Nähe der Bar nieder.
Ich bestelle ein kleines, alkoholfreies Bier, sowie alle Speisen der Wochenkarte, ich möchte mich richtig überfüttern heute. Was ich auch tue.

Als ich zwei Stunden später wieder nach oben durch den Gulli hoch klettere, passe ich fast nicht mehr durch das Loch. Doch satt bin ich, das kann ich nicht leugnen. Ich drücke mich hoch, stehe wieder auf dem Bürgersteig. Immer noch menschenleer die Straße, die Sonne geht gerade unter. Gemächlich mache ich mich auf den Weg nach Hause, schmeiße hier und da mal eine Scheibe ein, bin aber sonst ziemlich emotionslos drauf. Ich sollte nächste Ostern mal wo anders hinfahren. Nach Dresden zum Beispiel oder nach Mainz. Da erlebt man vielleicht was.


Die Spannungskurve dieser Erzählung gleicht (einem) stehenden (Güterzug)
Zitat des Autors aus einem Interview mit CNN aus dem Jahr 1994

Gestrickt mit Poesie, gespickt mit Ironie, verzwickt, was ein Genie!
Fan, der immer in Reimform lobt ​