Gruppe 13


Räuberpistolen für den Hausgebrauch


Wolle Eis?!

von Ficky Zwölf

Wie ein erschütterndes Donnergrollen brachten ihn die Kopfschmerzen wieder zu Bewusstsein. Jeremy Bordeaux entfuhr ein erschöpftes Stöhnen. Als er langsam seine Augen öffnete, lichtete sich vor ihm ein dunkler Nebel, der sofort von grellem Sonnenschein abgelöst wurde. Er stöhnte abermals, als das Licht wie ein Hammer auf seine Netzhaut einschlug. Seine Zunge fühlte sich wie ein trockenes Stück Leder an, das ihm aus dem schmerzenden Rachen hing. Seine Nase pochte, wie nach einem verlorenen Boxkampf, und seine Nasenlöcher waren verstopft mit geronnenem Blut. Trotz der widrigen Umstände versuchte Jeremy sich zu sammeln und einen Überblick über seine aktuelle Situation zu gewinnen. Er blickte mit seinen tränenden Augen an sich herunter. „Oha.“ Seine Füße baumelten ca. einen halben Meter über dem sandigen Boden. Er konnte sich an nichts erinnern, aber offensichtlich hatte sich jemand die Mühe gemacht, ihn in ein Stück Wüste zu schleppen und an einem Pfahl zu befestigen. Aber wieso waren seine Arme ausgestreckt? „Oh-oh…“ Jeremy sammelte all seine Kraft und bewegte seinen Kopf langsam zur Seite. Sein Verdacht bestätigte sich. Er war an ein Kreuz genagelt. Zum Glück hatte man sein Handgelenk so fest an das Holz gebunden, dass seine Hand völlig taub war und er von dem großen Nagel, der aus seiner Handfläche ragte, kaum etwas spürte. Er nahm an, dass er auf der anderen Seite nicht besser aussah und sparte sich eine Überprüfung. Vor ihm sah er nichts außer ein paar Felsen, die aus einem endlosen Meer aus Sand ragten. Jeremy ließ mutlos den Kopf sinken. Wie war er nur in diese missliche Lage geraten? Regungslos hing er so für etliche Minuten – oder waren es bereits Stunden? – an seinem Kreuz. Das Letzte, an das er sich erinnern konnte, war, wie er die Wanne verließ, in der er zuvor mit seiner Mutter gebadet hatte. Jeremy verlor erneut das Bewusstsein.

Hörte er da etwas? Ja! Musik. Eine Melodie. Ein Klassikstück, mechanisch gespielt auf ein einer elektronischen Tröte. Gerade als Jeremy erkannte, dass es sich um die ersten und sich ständig wiederholenden Takte von Beethovens „Für Elise“ handelte, vernahm er unter dem schrillen Getröte ein weiteres Geräusch: das ferne und langsam lauter werdende Brummen eines luftgekühlten Vierzylinder-Otto-Motors. Jeremy traute seinen ausgetrockneten Augen kaum. Vor ihm parkte ein weißer VW-Bus, der die Aufschrift „Gelato Discutibile“ trug. Gelato? Ein Eiswagen? Mitten in der Wüste? Jeremy konnte sein Glück kaum fassen. Er machte ein leises Krächzgeräusch vor Erleichterung. Diese blieb jedoch vorerst aus. Es passierte erstmal gar nichts. Der Motor des Eiswagens war abgestellt, aber die Sirene dröhnte munter weiter
„Didu-didu-didu-dudidudaaaa-dudidudaaa-dudidudaaaa“
Pause
„Didu-didu-didu-dudidudaaaa-dudidudaaa-dudidudaaaa“
Pause
„Didu-didu…“
Jeremys Ohren begannen zu schmerzen. Es war der letzte Teil seines Körpers, der bis zu diesem Zeitpunkt verschont geblieben war.

Nach unzähligen Minuten, oder waren es bereits Stunden?, öffnete sich die Fahrertür. Ein dickbäuchiger Mann mit einem gewaltigen, schwarzen Schnäuzer stieg aus dem Fahrzeug. Er trug ein weißes Unterhemd, das von rotbraunen Soßenflecken geziert war, und von seinem glänzenden Schnurrbart tropfte frisches Olivenöl. Ein echter Italiener, dachte sich Jeremy. Er versuchte, den ungepflegten Mann anzusprechen, doch außer etwas Stöhnen und Krächzen brachte er nicht viel hervor. Der Italiener ignorierte ihn. Er öffnete die Seitentür des VW-Busses, welche ein buntes Sortiment an gekühlten Süßspeisen preisgab. Nur wenige Meter von Jeremys Kreuz entfernt fanden sich allerlei aufregende Eissorten: Erdbeere, Vanille, Schokolade, alles war dabei – sogar Malaga hatte der Italiener im Angebot. Dieser hatte sich mittlerweile hinter der kleinen Eistheke eingerichtet und starrte Jeremy mit einer südländischen Mischung aus Erwartung und Desinteresse an.
„Wolle Eis?!“, fragte er Jeremy.
„Gnnn..“, antwortete Jeremy. Der Italiener starrte ihn weiter an. Sein Ausdruck wandelte sich langsam von einem desinteressierten zu einem intensiven, ja fast aggressiven Blick.
„Wolle Eis?!“, fragte er nochmal mit Nachdruck.
„Gnnnh.. !“, antwortete Jeremy verzweifelt. Er wollte Eis und er wollte verdammt nochmal von diesem Kreuz runter, aus der Wüste raus und keine Nägel mehr in den Händen. Aber er brachte es nicht fertig auch nur ein verständliches Wort mit seinem zerschundenen Gesicht zu formulieren. Nach einer Weile wurde es dem Italiener zu viel. „Aschloch!“ fauchte er und stieg aus dem Bus. Beleidigt ließ er die Seitentür zuknallen, stieg in die Fahrerkabine und startete den Motor. Jeremy konnte es nicht fassen. Er wurde fast wahnsinnig vor Verzweiflung ob des Verlusts der vermutlich letzten Gelegenheit, von seinem Kreuz lebendig befreit zu werden. Mit aller Kraft presste er das letzte Bisschen Feuchtigkeit in seine Zunge und krächzte mit aller Kraft „Halt!“. Der Italiener kurbelte das Seitenfenster runter, streckte seinen Arm aus dem Fenster und zeigte Jeremy den Mittelfinger. Dann stieg mit dem Fuß aufs Gaspedal und lies Jeremy in einer staubigen Wolke aus Sand und verbranntem Heizöl zurück. Jeremy sparte sich das Weinen. Es hätte ja ohnehin nicht geklappt.

Nach einer weiteren bewusstlosen Episode kam Jeremy nochmal zu sich. Er spürte wie das letzte bisschen Leben in seinem Körper zu verdampfen begann – wie das Badewasser was er zuletzt mit Muttern geteilt hatte. Er lächelte. Er war bereit.

„Überraschung!“ Jeremy wäre hochgeschreckt, wenn er dazu noch in der Lage gewesen wäre. Durch einen verwaschenen Schleier nahmen seine rosinenartigen Auge eine Gruppe von Gestalten war. Er spürte, wie er plötzlich schwerelos wurde. Dann landete er sanft im dem weichsten Bett in dem er jemals gelegen hatte. Nach etwa 20 Minuten auf der Krankenbahre kam Jeremy dank der Infusion langsam wieder zu sich. Um ihn herum standen seine Arbeitskollegen aus dem Rewe in Mömbris, sein Bruder Rolf-Zekoffski, und seine Mutter sowie Cassidy Swanson seine Ex-Freundin (ebenfalls Rewe-Mitarbeiterin), die ihn alle erwartungsvoll anschauten.
„Was…“, begann Jeremy, doch Cassidy fiel ihm ins Wort:
„Haha Bodo-J, damit hast du wohl nicht gerechnet, oder? Also, du warst gestern in einen Autounfall, angeblich warst du betrunken, aber das glaube ich nicht. Jedenfalls zuuu-fäll-ig bist du mit Marcello-Tiger“, Marcello-Tiger, Jeremys Filialleiter vom Rewe in Mömbris winkte und lächelte verlegen, „zusammengestoßen. Ich und Henne-Henne und Krokodil-Ken waren zufällig auch dabei und wir dachten, da du ja heute Geburtstag hast überraschen wir dich und spielen dir einen kleinen Streich, lol. Wir haben dich also von Menschenhändlern nach Dubai schleusen lassen, um dich hier ein bisschen in der Wüste zu ärgern, aber dann hatte sich wegen des schlechten Wetters unsere Flüge verspätet und, äh, deswegen wurdest du hier ein bisschen länger geröstet als wir das eigentlich wollten. Sorry! lol“ Jeremy war kaum in der Lage das Gehörte zu verarbeiten und doch kam ihm ein Gedanke klarer in den Sinn als alles andere.
„Dann war der Italiener auch eure Idee?“, fragte Jeremy.
„Welcher Italiener?“, fragte Cassidy.
„Der Eismann! Der verdammte Eismann! Habt ihr den angeheuert?“
Cassidy machte einen Schritt zurück und schaute Jeremy entsetzt an. Jeremy schaute in die Runde und stellte erschrocken fest, dass alle mit dem gleichen Ausdruck von Entsetzen von ihm Abstand nahmen. Plötzlich entflammten sich ihre Haare und mit grellen Schreien löste sich Jeremys soziales Umfeld in eine Wolke aus schwarzer Asche auf. Jeremy schaute sich um. Er war wieder allein in der Wüste. Didu-didu-di…


Rassistische Stereotypen für billige Lacher. Pfui!
Luigi „Penne“ Macciato