Panther-1 auf Schloss Bellevue
von Haimo Schafft
Herr Peter wankte wie ein angeschossener Wal unkoordiniert das
Treppenhaus hinauf. Unter seinem linken Arm trug er einen frischen Laib
Brot, und in seiner rechten zur Faust geballten Hand hielt er mit
eisernem Griff die Henkel einer Plastiktüte, welche bis zum Rand mit
Katzenfutter gefüllt war. Herr Peter war Mitte 30, unsportlich und trug
einen lichten Haarkranz lose um seine lange, in Sorge gefaltete Stirn.
Sein unsteter Gang und sein unbeholfenes Gebaren hatten sich in den
letzten Woche drastisch verschlimmert. Die Nachbarn ferndiagostizierten
Probleme und Alkoholismus. Tatsächlich hatte Herr Peter aber gar keine
Probleme mehr.
Nach mehreren Anläufen hatte er endlich die Tür seiner Wohnung
aufgeschlossen. Er wurde langsam besser. Er betrat den Flur und warf das
Brot auf den Haufen verrotteter Backwaren im Badezimmer, was einen
großen Schwall Fliegen in freudige Aufregung versetzte. Er bahnte sich
den Weg zur Küche durch die Unmengen offener Konservendosen, die den
Rest der Wohnung säumten. Seine Schritte wurde untermalt vom Knacken
zertretenen Katzenstreus. In der Küche angekommen öffnete er sieben
weitere Katzenfutterdosen und stellte diese sorgsam auf die wenigen
verbliebenen freien Stellen des Küchenbodens. Danach ließ er sich aus
dem Stehen direkt in seinen Lieblingssessel fallen. Herr Peter verharrte
regungslos. In seinem Brustkorb machte sich ein hektisches Rascheln und
Kratzen breit, das zunehmend in Lautstärke anschwoll. Plötzlich öffnete
sich seine Bauchdecke und sieben entnervte Hauskatzen sprangen aus der
menschlichen Hülle hinaus. Angeführt vom schwarzgrauen Dr. Geigenkasten
stiegen Schlurfi, Mumpitz, Barbel, Roboterkind, Proteinshake und Jens
aus dem geöffneten Leichnam und labten sich sogleich an dem frischen Futter.
Herr Peter war wenige Wochen zuvor durch einen Herzinfarkt beim Konsum
kostenloser Internetpornographie ums Leben gekommen. Die Katzen unter
Anleitung von Dr. Geigenkasten sorgten sich um das Fortwähren ihrer
Verpflegung und außerdem wollten sie ihre gewohnte Umgebung ungern
verlassen. Auf der Stelle machten sich die hungrigen Katzen ans Werk und
höhlten den Verstorbenen von innen aus, was sie für die erste Woche mit
reichlich Nahrung versorgte.
Satt und voller kreativer Energie entwickelten die Katzen, deren
Speichel sich praktischerweise als konservierend herausstellte, ein
kompliziertes aber ausfallsicheres System, um den Leichnam von innen zu
steuern. Dies hatte es ihnen ermöglicht, jeden Tag für mehrere Wochen
unerkannt als Herr Peter getarnt das Haus zu verlassen, um Futter und
allgemeine Katzenbedarfsartikel zu kaufen. Hier kauften sie außerdem
größere Mengen an Backwaren in der Hoffnung, möglichst normal und
menschlich zu erscheinen. An Geld mangelte es ihnen nicht, da sich der
rotbraune Jens als eiskalter Online-Poker-Profi herausgestellt hatte.
Doch es war der Erfolg, der die Katzen zu Hochmut verleitete und
letztendlich zu ihrer Entdeckung führte. Nachdem sie erst nur kurze
Ausflüge zum Supermarkt unternahmen, um nur das Nötigste zu kaufen, sah
man Herrn Peter bald wieder häufiger in der Stadt beim maßlosen Verzehr
von Wurstwaren und Käse. Es passierte an einem heißen Sommertag, als
sich der Tote in einem Café eine kalte Tasse aufgeschäumte Milch
bestellte, dass sein schnurrendes Geheimnis gelüftet wurde.
Der Mann, oder besser gesagt die Frau, die den Katzen auf die Schliche
kam, war eine BND-Agentin namens Panther-1. Sie saß im gleichen Kaffee
wie die Katzen und aß Apfelkuchen, als ihr der beißende Geruch von
Katzenurin, der von dem nett grinsenden Mann mit der Glatze ausging,
auffiel. Eigentlich war Panther-1 gerade in die Aufdeckung eines
russischen Doppelagenten (Bruno Eins Eis) involviert, aber wie so oft
musste sie als Agentin schnell Gefahren abwägen und Entscheidungen im
Interesse ihres Vaterlandes treffen, und so staunten die Leute im Café
Vulva nicht schlecht, als die Beamtin scheinbar aus dem Nichts heraus
ihre Hand in den Bauch des grinsenden Mannes mit dem hässlichen
Haarkranz rammte. Sie zog als erstes Schlurfi hervor, der traurig einem
angekauten Stück Wurst hinterherschaute, dass ihm vor Schreck aus dem
Mund gefallen war.
Die Presse stürzte sich auf die Geschichte, und Journalisten gierten
geradezu nach Exklusivinterviews mit den Menschen-Fresser-Mietzen – ein
Name, den sich die Katzen selbst ausgedacht hatten. Zur Überraschung
aller kam es am Ende zu keiner Verurteilung. Im Gegenteil – die Katzen
wurden vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier ins Schloss
Bellevue eingeladen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gratulierte den Katzen zu ihrer beeindruckenden und abenteuerlichen Geschichte und verlieh jeder Einzelnen das Bundesverdienstkreuz für Katzen. Er klopfte Dr. Geigenkasten während der Zeremonie auf die Katzenschulter und flüsterte ihm ins Ohr „Gut gemacht, Panther-17“. Es war in diesem Moment, als Panther-1 der beißende Geruch von Katzenurin auffiel, den der Bundespräsident wie eine steinzeitliche Frau hinter sich herzog.