Das schwarze Brot
von Fjóðórur Rágnárson
Aus der Oktologie „Zwillensturm!“
Die Nacht war bereits gefallen, als Williwald Zwillensturm, Sohn des
Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von
Sturmzwille, sein Pony vor dem Gasthaus zum Goldenen Gabelfisch an den
Pfahl band. Oben am Firmament leuchteten die Sterne des Sommerhimmels
mit mächtigem Funkeln ungestüm auf die Welt hinab. Leise schnaubte
das namenlose Tier und hievte seine gewaltige Schnauze in die Tränke,
um einen tiefen Schluck zu nehmen. Zufrieden mit seinem Tagewerk
blickte Williwald Zwillensturm, Sohn des Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von
Sturmzwille, auf sein stolzes Roß. Es war ihm nun schon seit knapp
fünfzig Jahren ein treuer Begleiter und hatte ihn nie im Stich
gelassen, wenn man die unglückliche Begegnung mit dem Natternkönig
vor dreißig Monden einmal außen vor ließ. Diesen Fauxpas hatte Pony,
wie er es insgeheim für sich nannte, mehr als einmal wieder gut gemacht. Es wurde ihm warm ums Herz, als er an die großen Schlachten von Rabenfeld, Amselacker und Schwalbenfluss dachte, die er allesamt gewonnen hatte. Das Blut war ganz ordentlich geflossen, besser als in seinen kühnsten Träumen.
Nicht, dass er so viel Gefallen daran hatte, nein, insgeheim
hegte er eine gewaltige Abneigung gegen diese ganze Gewalt, doch die
Welt war nun einmal kein Ponyhof. Die Welt war voller Fieslinge,
Ehebrecher und Ponyhasser. Leute mit Toupet und falschen Zähnen.
Leute, die Tiere folterten. Leute, die wehrlose Kinder in
Transitzentren falsche Algebra beibrachten. Williwald Zwillensturm, Sohn des
Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von
Sturmzwille wusste genau um seinen Platz in der Welt. Er war hier, um
sie zu einem besseren Ort zu machen. Das war ihm größtenteils ja
bereits gelungen. Die zwergwüchsigen Menschen aus Zabusturien besangen
ihn in ihrer epischen Dichtung, die Nymphen aus Jobalipan bekamen
feuchte Augen, wenn sie einmal im Jahr an seinem Denkmal einen Reigen
tanzten, und die Götter waren sowieso auf seiner Seite. Ja, Williwald Zwillensturm, Sohn des
Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von
Sturmzwille hatte sich nichts vorzuwerfen. Kapieren, katapultieren und
kopulieren, aber nie kapitulieren. Das war sein Motto und daran hielt
er sich.
Pony riss ihn mit einem gewaltigen Bäuerchen aus seinen Gedanken. Das
Biest hatte die komplette Tränke geleert und blickte ihn verliebt an.
Doch bevor es seine Gutenachtgeschichte vorgelesen bekommen würde,
musste Williwald Zwillensturm, Sohn des
Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von
Sturmzwille noch selbst etwas Speise zu sich nehmen. Er tätschelte
Pony hinter dem Ohr und legte die Hand auf die schmiedeeiserne Klinke
des Gasthofs.
Die Tür öffnete sich ohne großes Geräusch und gab den Blick frei
auf eine verräucherte Stube. Mit routiniertem Blick sah er sich um. Es
schien keine unmittelbare Gefahr zu drohen. Der niedrige Raum
beinhaltete insgesamt drei Tische aus Eichenholz und eine Theke. Links
davon führte eine Tür zum Abort, rechts davon zu den Schlafkammern.
Der Gastwirt nahm nur beiläufig Notiz von seinem neuen Gast. Seine
Aufmerksamkeit war gefesselt von dem Gespräch am hintersten Tisch.
Dort saßen ein Ork, ein Druide und ein Troll, und sie
diskutierten lebhaft. Die restlichen Tische waren nicht besetzt, und so
schritt Williwald Zwillensturm, Sohn des
Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von
Sturmzwille zu einem von ihnen hin und ließ sich nieder. Er winkte dem
Wirt.
„Wirt!“
Der Wirt sah zu ihm herüber.
„Ich wünsche eine Speise. Was gibt es?“
Der Wirt zuckte mit den Achseln.
„Black Bean Flapjack hat sich heute krank gemeldet. Gibt nix.“
Das schmeckte Williwald Zwillensturm, Sohn des
Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von
Sturmzwille nicht. Er hatte Hunger! Er musste nachdenken. Mit
scheelem Blick äugte der Druide zu ihm herüber. Er befand sich noch
immer in heftigster Diskussion mit dem Ork und dem Troll, doch seine
Augen blitzten ätzend in Richtung des neuen Gastes. Williwald war der
stechende Blick etwas unangenehm. Kannte er diesen Druiden? War er aus
dem schwarzen Orden der modernden Sonne? Die hatten ja noch eine
Rechnung mit ihm offen. Oder einer der weißen Druiden
aus der Wacholderbucht? Schwer zu sagen. Was wollte der Typ? Da
entschuldigte sich der Druide bei seinen Tischgenossen und ging auf
Williwald zu.
„Psst… ich habe hier noch was zu essen… nimm dieses Brot!“
Der Druide griff unter seinen Umhang und fischte ein langes, dünnes,
schwarzes, duftendes, knuspriges Brot hervor.
Verblüfft, aber dankbar nahm Williwald Zwillensturm, Sohn des
Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von
Sturmzwille das Brot an. Er biss sofort hinein und fing an zu kauen. Er
bemerkte, dass die beiden Gefährten des Druiden in ihrer Diskussion
innegehalten hatten, und mit lähmendem Entsetzen zu ihm
herüberglotzten.
Der Druide jauchzte kurz und seine Augen funkelten noch boshafter als
vorher. Er starrte erwartungsvoll in Williwalds Augen.
„Ja gut, also, danke, ist noch was?“ Er verspürte jetzt keine große
Lust auf Druiden-Smalltalk und wollte nur in Ruhe etwas essen. Er riss
sich noch einmal ein großes Stück ab und schlang es hinunter.
„Schmeckt ganz gut, selbstgebacken?“
Der Druide bewegte sich kaum, doch eine leichte Unsicherheit schien
sich in seinen irren Blick einzuschleichen.
„Iss, iss mein Kind!“ brachte er heiser hervor.
„Ist gut, mach ich doch, danke auch!“
Nach fünf weiteren Bissen hatte er das Brot aufgegessen und
fühlte sich endlich ein wenig satt. Um dem unangenehmen Typen nicht
weiter ausgesetzt zu sein, erhob er sich, bedankte sich nochmal und
ging zu Pony, um ihm seine Gutenachtgeschichte vorzulesen. Es war eine
sehr schöne Geschichte mit einer berührenden Pointe.