Gruppe 13


Räuberpistolen für den Hausgebrauch


Dufte

von Lajana Leyenmaier

Die Straßenbahntüren schoben sich schnaufend auseinander und kotzten eine Ladung Feierabendpassagiere auf den Bürgersteig. Miesepetrig drängte Sepp sich gegen den Strom der aussteigenden Fahrgäste vorbei in den Bauch des dringend reparaturbedürftigen Ungeheuers und verscheuchte mit einer grimmigen Augenbraue ein gezöpftes Schulmädchen vom einzig und allein ihm gebührenden Sitzplatz. Sepp fuhr aus Prinzip nur rückwärts.

Der Bruchteil einer Sekunde reichte aus, um die Situation fachmännisch zu analysieren. „Und DIE wollen hier alle von mir behandelt werden! Wenn ich diese ganzen Kaputten hier so seh-“ Sepp unterbrach seinen Ausruf selbst durch verachtendes, zeitlupiges Kopfschütteln, wobei ihm der schiere Siff von den zersplissten Strähnen rann. Die „Kaputten“ sanken beschämt in ihre Sitze.

Sepp selber hatte sich das Schämen ein für alle mal abgewöhnt. Während er die Flusen von seiner einzigen Jogginghose pröckelte und zu Boden rieseln ließ, dachte er an all jene Momente, in denen sein gesundes Selbstwertgefühl ihn sicher durch jegliche Art von Strapazen navigiert hatte.

Zum Beispiel die Sache mit dem Chemieunfall.

Sepp hatte sein Gewissen zu großen Teilen an den Putzmittelhersteller verkauft, bei welchem er sich einst zu Spottpreisen als Dufterfinder verdingt hatte. Bereits kurz nach seiner Einstellung hatte er mit allen zitronig-minzigen Konventionen gebrochen und mit Kreationen à la „Rumpsteak-Cassis“, „Joghurt-Gurke-Moschus“ und „Krokant-Brennessel-Wüstenfrühling“ den Reinigungsmarkt ordentlich aufgemischt. Als gerade eben ein bedeutender Deal mit einem Weichspülfabrikanten anstand, der Sepps Genie für seine Fish’n’Chips-Serie verwenden wollte, geschah es, dass Sepps gigantisches Sammelsurium an selbstgepflückten, -gebrauten, -verjauchten und -extrahierten Ingredienzien ihr harmlosen Miteinander im Laboratorium mit einem gewaltigen Knall aufgaben. „Isso“, war Sepps kühle Reaktion.

Seine Entlassung führte er denn auch auf die Charakterschwäche seines Vorgesetzten und dessen Vorgesetzten zurück. So war das immer mit diesen engstirnigen Kaputten dieser, ach aller! Gesellschaften, Hauptsache, man macht es sich in starren Denk- und Verhaltensmustern bequem.

Aber nicht mit Sepp. Hier und heute, in dieser Tram, würde sich keiner aus der kollektiven Verantwortung stehlen.

„Und jetzt mal Klartext hier – der erste bitte!“, begann Sepp seine Analyse mit forderndem Blick auf eine ältere Dame, die seit zwei Stationen damit beschäftigt war, ihren Rollator in Position zu bringen und festzustellen. Jedoch machte ihm die nächste Straßenkreuzung eine Kurve durch die Rechnung, denn ein Ei löste sich mit Schwung aus dem Einkaufsnetz der verhuschten Omi und ergoss seinen ungekochten Inhalt direkt über den wuchernden Flusenteppich zu Sepps Füßen. Getriggert durch die unschöne Erinnerung an ein in letzter Sekunde gestopptes Spüli-Projekt, dessen geniale Zusammensetzung aus wertvollem Eiprotein und reinigenden Sandsteinpartikeln angereichert mit einem pikanten Röstaroma, frischeversiegelt und qualitätsgarantiert, auch kulinarisch bedenkenlos einsetzbar!, bei den Verantwortlichen auf dumpfes Unverständnis gestoßen war, fühlte Sepp ein ungutes Gemisch aus Ärger und Verzweiflung in sich aufsteigen. Andauernd wurden seine Bemühungen boykottiert, durch lächerliche Übersprungshandlungen untergraben! Dieses Dreckspack hier war seine Anstrengungen schlicht nicht wert, also beschloss Sepp, zu gehen. Erhobenen Hauptes, die rechte Faust drohend richtung Omi schwingend und zu Tode beleidigt, schlitterte Sepp auf Eiersfüßen aus der Bahn.