Druck
von Gundolf Bresenz
Ich stehe unter der Dusche und schwitze. Die Wassertemperatur steht
auf blau, der Regler lässt sich nicht weiter schieben, bläuer geht nicht.
Trotzdem schwitze ich wie ein Schwein. Der Wasserdruck ist hoch, wie
das in Residenzen reicher Menschen üblich ist, aber es fließt eine größere Menge Schweiß in den Abfluss als Wasser. Man kann es deutlich
sehen, da mein Schweiß wegen des vielen Shischa-Rauchens einen
Ockerton aufweist und sich nicht mit dem Brauchwasser vermischt.
Mir ist schlecht, schwindelig und ich habe seit Tagen nichts gegessen
außer Corny-Riegeln. Dazu natürlich Kaffee, viel Kaffee.
Die Menschen
denken, Autoren wären Freigeister, hippieske Kiffer, die im Park liegen
und hier und da mal ein paar geniale Einfälle haben, die ihnen einfach
so aus dem Universum zufliegen. Sie denken, wir wären Menschen, die
sich den größten Teil ihres Lebens den Hoden von ihren Musen kraulen
ließen. Falsch. Schreiben ist Arbeit. Knochenarbeit. Bis zum Umfallen
und darüber hinaus. Sie ist sehr gut bezahlt, das gebe ich gerne zu. Die
Miete für mein Sommerhaus bezahlt mein Verleger, ebenso wie das
Personal (heißt: mein Personal bezahlt die Hälfte der Miete, es wohnt
ja schließlich hier).
Natürlich besitze ich selbst auch einige Burgen und Schlösser, viele davon sind allerdings baufällig und aufgrund meiner Heroinsucht habe ich
nicht die Mittel sie ordnungsgemäß in Stand setzen zu lassen.
Aber der Druck. Der Druck ist gigantisch. Einmal im Quartal muss ich
eine Geschichte abliefern. Man könnte meinen: eine Geschichte ist
schnell in die Schreibmaschine gehackt, da muss ja fast nur ein Wort
pro Tag geschrieben werden. Und manche Worte wiederholen sich ja
sogar in einer Geschichte, die muss man also auch noch subtrahieren.
Ganz abgesehen von Interpunktion. Falsch.
Für jedes veröffentlichte Werk schreibe ich im Durchschnitt über 8000
Entwürfe. Ich recherchiere, muss mich an Schauplätze begeben und mir
die komplexesten Strukturen zurechtlegen, die sich je ein Mensch ausgedacht hat. Die Relativitätstheorie nachzurechnen ist dagegen eine
Fingerübung. Manchmal mache ich das im Kopf nebenher, während ich
Kniebeugen auf dem Trimm-Dich-Pfad absolviere.
Für eine Geschichte dagegen, die mir sehr am Herzen liegt, schreibe ich
dagegen meist ein Drehbuch, lasse dieses verfilmen und schreibe dann
auf der Grundlage des Films die Geschichte neu. Ein durchaus üblicherVorgang für ernst zu nehmende Literaten. Und dann schmeiße ich die
Geschichte weg.
Ich habe mittlerweile so viele unveröffentlichte Texte (manche davon so
alt, dass sie noch als Inkunabeln gelten), dass alleine die monatlichen
Kosten für das Self-Storage der Manuskripte für einen normalen Angestellten mit zwei Jobs nicht mehr zu stemmen wären.
Zusätzlich zum Erfolgsdruck, mich selbst qualitativ jedes mal übertreffen treffen zu müssen, gilt es auch noch, besser zu sein als meine Kollegen.
Die meisten der anderen Gruppe-13-Autoren kenne ich zwar nur aus
dem Fernsehen, genauer gesagt Pro7 und RTL2. Zwei Literaten habe
ich allerdings einmal persönlich in Bonn getroffen, im Hinterzimmer eines Bordells. Sie sitzen beide im Rollstuhl. Ich bin mir nicht sicher, aber
ich glaube sie haben sich gegenseitig in die Rollstühle geprügelt. Es gab
jedenfalls mal einen Rechtsstreit zwischen den beiden, bei dem es um
Veröffentlichungsrechte ging. Oder um Kokain. Wie gesagt, ich bin mir
da nicht ganz sicher. Ich darf auch gar nicht darüber sprechen. Offenes
Verfahren.
Mein Verleger zudem ist ein sehr unangenehmer Typ. Damals in der
Sowjetunion war er einer der besten Ringer. Heute ist er professioneller
Wrestler. Dabei ist er überzeugt davon, immer noch hinter dem eisernen
Vorhang zu leben. Er hat ein Poster von Stalin an der Wand hängen,
das er an Feiertagen gerne ableckt. Er trinkt viel, prügelt sich wild mit
seinem Kanarienvogel und bastelt an einer Atombombe. Er macht das
ganz unverhohlen, alle Nachbarn wissen es.
Einmal im Jahr, im November, macht er sogar ein großes Sommerfest in seiner Wohnung, bei dem
er seine Fortschritte präsentiert. Es kommt meistens keiner, außer ein
paar Omis, die gar nicht verstehen, was er da überhaupt macht. Die anderen Nachbarn haben höllische Angst. Man will ihn aber nicht verärgern, also schweigt man.
Nun ja, dieser Mann ist mein Verleger. Wenn ihm ein Manuskript nicht
pünktlich vorliegt, schickt er mir seine Schäferhunde vorbei, denen er
vorher zum Heißmachen einen Schluck meines Blutes anbietet.
Ich habe außerdem drei Lektoren – zwei davon aus den USA – die äußerst kritisch sind und aufgrund meiner beiden Ingeborg-Bachmann-Preise auch jedes mal mehr von mir erwarten. Sie sind wie fleischgewordene Daumenschrauben. Schon der Gedanke an ihre niederschmetternden Kritiken zu meinem ersten und einzigen Theaterstück „Fist 1“
lassen noch heute meinen Atem zu Eis gefrieren.
Ich bin kein Weichei, ganz bestimmt nicht, aber die Last auf meinen
Schultern ist tonnenschwer, soviel darf ich verraten. Körperlich bin ich
ein Wrack, heute morgen habe ich mich gewogen, einmal mit Bademantel und einmal ohne. Mit Bademantel waren es 2 Kilo, ohne nur noch
wenige Gramm.
Ich bin ausgezehrt, dieser Beruf hat mich fertig gemacht, er hat mir in
die Fresse geschlagen und mich vermöbelt. Jeder Satz ist, als würde ich
mir die Gedärme aus dem Leib zerren und sie auf ein Blatt Papier kleben.
Mit jeder Zeile schwindet ein Stück meiner Lebensfreude, ich gehe am
Stock.
Jedes mal, wenn ich meinen Stift spitze (ich schreibe ausschließlich mit
diesen kleinen Bleistiften, die man gratis bei IKEA erhält) wünsche ich
mir, der Spitzer würde mich wie ein Hurrikan einsaugen und mich in
kleine dünne Scheiben zerlegen, so dass ich mich selbst in den Mülleimer werfen könnte.
Wie oft habe ich am Dinnertisch gesessen und in Gedanken schon das
Messer geschnappt und mir beide Hände abgeschnitten, um nie mehr
schreiben zu müssen. Ich speise jetzt nur noch mit Plastikgeschirr.
Glücklicherweise sind meine Kobe-Rinder zart genug, dass sich das
Fleisch auch mit dem weichen Plastik aus China zerlegen lässt.
Wäre ich ein glücklicherer Mensch, wenn ich auf einer Müllkippe zwischen stinkenden Thunfischdosen leben würde? Selbstverständlich.
Wenn ich als römischer Gefangener in einer Arena mit einem Wolpertinger kämpfen müsste? Natürlich.
Wäre mein Leben mehr von Freude erfüllt, wenn ich eine Amöbe wäre,
ein unbedeutendes Atom gar? Bestimmt.
Aber ich bin als Autor geboren. Als Sexsklave der Buchstaben.
Und ja, ich brauche ihn, diesen Druck.