Die Rückkehr des Natternkönigs
von Fjóðórur Rágnárson
Williwald Zwillensturm, Sohn des Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von Sturmzwille, richtete seinen Blick nach Süden. Die Sonne stand dort bereits tief über dem Horizont und warf mächtige Schatten über das Land. Die Zeit der Nattern war angebrochen.
Williwald Zwillensturm, Sohn des Greifen von Zwirm und Tochter der
Kleinwüchsigen Wagebolda von Sturmzwille, konnte es fühlen. Tief in
sich drin. Da war etwas. Es fühlte sich giftig an. Wie das Gift einer
Natter. Er hatte den Tag im Dorf unten am Fluss verbracht. Die Bewohner
waren einfache Gemüter, sie verbrachten ihr Tagewerk mit Kartoffelsaat
und Stühleschnitzen. Es waren keine Krieger wie er. Wenn sie etwas
schmiedeten, dann war es weder aus Eisen noch aus Stahl. Höchstens Pläne,
wie sie noch kunstvoller Flöten aus Holz herstellen könnten. Oder den
Tag mit Gedichten zu füllen.
Es schüttelte ihn. Er fühlte sich
unbehaglich in ihrer Gesellschaft. Sie hatten ihn behandelt wie einen
der ihren, das gab er unumwunden zu. Seine Wunden waren mittlerweile
ganz gut verheilt, keine hatte sich entzündet. Als er vor drei Monden
hier angekrochen kam, war der Wundbrand bereits weit fortgeschritten. Er
hatte sich das linke Bein abgenommen, mit letzter Kraft. Sein Messer
hatte er dabei verloren, aber immerhin nicht sein anderes Bein. Als er
daran zurückdachte, wunderte er sich, wie wenig Emotionen die
Erinnerung in ihm auslöste. Hatte er überhaupt Schmerzen dabei
verspürt?
Angst? Macht? Hass? Oder gar Wehmut?
Er wusste es nicht, es kam ihm vor wie ein
längst vergangenes Leben.
Diese Menschen hatten ihn aufgepäppelt. Sie waren in ihrem Herzen gut.
Doch Williwald Zwillensturm, Sohn des Greifen von Zwirm und Tochter der
Kleinwüchsigen Wagebolda von Sturmzwille, machte sich keine Illusionen.
Auch sie waren nicht gefeit vor der Saat des blauschwänzigen
Natterngottes. Er konnte es riechen.
Der Natterngott war nicht weit.
Der Natterngott wollte Niedertracht in die Herzen der Menschen bringen.
Und das konnte er nicht zulassen.
Leichter Regen setzte ein. Das Geräusch zerplatzender Wassertropfen auf
prallen Blättern ließ Williwald Zwillensturm, Sohn des Greifen von
Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von Sturmzwille, an
seine Heimat denken.
Zwirm!
Wie schön seine saftigen Wiesen, auf
denen er als Säugling herumgestoben war.
Wie kühl die Wasser von Zwirmsee,
in denen er als Kind stundenlang nach dem sagenumwobenen Zwirmfisch
getaucht war.
Wie warm die Sandhügel von Zwirmwüste, auf denen er als
Jugendlicher mit der Alten Lupe der Schimmernden Bibliothek von Zwirm arglosen Ameisen den Pelz
versengte.
Ein Schleier von Traurigkeit legte sich über diese
Erinnerung. Ja, er hatte es bereut. Bei den Mönchen vom smaragdenen
Hain hatte er Buße getan. Als er die Schwelle von der Jugend zur
Männlichkeit überwunden hatte, war er längst der gereifte Krieger,
als den ihn nun alle Welt kannte. Und auch heute noch stieg in ihm
immer wieder das mahnende Bild einer versengten Ameisenkriegerin auf,
sobald er vor der Aufgabe stand, Leben zu nehmen. Und vor allem dann,
wenn es darum ging, Leben zu geben (in letzterem Fall allerdings
verwandelte sich die Kriegerin von einer mahnenden zu einer mit nur einem knappen
Höschen bekleideten Figur).
Noch ganz in Traumschleiern versunken, wurde Williwald Zwillensturm, Sohn des Greifen von Zwirm und Tochter der
Kleinwüchsigen Wagebolda von Sturmzwille hinter seiner nebligen traumbehafteten
Schleierwand jäh aus dem Schleier aller
Träume gerissen.
Ruchlose Reiter
sprengten plötzlich hinter den jungen Trieben des Kirschenhains heran!
Williwald Zwillensturm, Sohn des Greifen von Zwirm und Tochter der
Kleinwüchsigen Wagebolda von Sturmzwille, musterte ihre
schlangenhaften Bewegungen mit
ruhigem Auge. Sie trugen spitz zulaufende Hüte mit einem üblen
Natternkopf-Emblem! Langsam erhob er sich aus seiner Position. Er hatte
gerade seine Übungen in der Tradition von Meister Pwwwsh beendet und
dadurch neue Kraft geschöpft. Mit bedächtig tänzelndem Schritt
vollführte er eine trotz seiner Einbeinigkeit vollkommene Bewegung um die eigene Achse und brachte
sich in Position. Die Reiter verlangsamten ihre wilde Heransprengerei ein
wenig, sichtlich beunruhigt. Williwald Zwillensturm, Sohn des Greifen
von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von Sturmzwille, hob
seine Hand zum Gruß, woraufhin ihr ein silberner Blitz in der Form
eines Gürteltiers entfuhr.
Der erste Reiter schrie vor Schreck auf, rollte seine Augen nach oben,
und fiel aus seinem Sattel. Sein Pferd ging sofort in eine schützende
Kauerposition, geblendet ob der Argheit des Spezialeffekts. Williwald
Zwillensturm, Sohn des Greifen von Zwirm und Tochter der
Kleinwüchsigen Wagebolda von Sturmzwille, musste schmunzeln, hatte er
ihn doch lange nicht angewendet. Gut, dass der Gleißende Gruß des
Geifernden Gürteltiers noch so effektiv funktionierte. Eine alberne
optische Täuschung, alles in allem, aber höchst befriedigend. Narren.
Der zweite Reiter (es waren derer drei) war etwas abgebrühter als der erste,
welcher nun wimmernd am Boden lag, direkt hinter seinem Pferd, und sich
wand wie eine verwundete Natter. Williwald Zwillensturm, Sohn des
Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von
Sturmzwille, zog die rechte Augenbraue hoch und wartete ab.
„Hoooo… Halt!“
Das Pferd stand still. Der Regen hielt inne und lauschte.
„Ich habe eine Nachricht für Williwald Zwillensturm, Sohn des Greifen
von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von Sturmzwille!“
„So werde ich genannt“, entgegnete Williwald
Zwillensturm, Sohn des Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen
Wagebolda von Sturmzwille. „Sagt mir euer Begehr oder zieht hinweg!“
„So höret mir gut zu. Wir sind einen weiten
Weg geritten. Über das Grausige Gebirge von Kraxenklamm, voll der Gram und
Traurigkeit, durch die Schaurigen Sümpfe vom Schmorenden Moos, voll von
Leid und Pest, und durch die Singende Wüste der Einsam Tanzenden
Knochenreigen, voller Fata Morgana und
ausgetrockneter Oasen.“
Er warf seinem Kompagnon einen Blick zu. Dieser nickte bestätigend,
und hustete kurz überzeugend.
„Folgende Nachricht bringe ich euch: erkennet, wie die Natter naht. Dunkelheit führt
er im Gepäck. Tausendfüßler von unermesslichen Ausmaßen bringen den Natternkönig über das
Birnengebirge. Er ist bald hier! Hass wird gesät. Hass wird geerntet. Bereitet euch vor auf das Joch
der Natter! Auf den Knochen der Sklaven wird das neue Schloss des Natternkönigs
errichtet werden. Wählt: huldigt dem König der züngelnden Zungen, oder sterbt in Elend.“
Damit brach er ab und sagte kein Wort mehr.
„Schickt euch der Natternkönig?“, fragte Williwald Zwillensturm, Sohn
des Greifen von Zwirm und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von
Sturmzwille, schließlich.
„Was ist eure Wahl?“, entgegnete der Reiter,
anstatt die Frage zu beantworten.
Lange blickte ihn Williwald Zwillensturm, Sohn des Greifen von Zwirm
und Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von Sturmzwille, an. Und dann
ging alles schnell. Ächzend brach der Reiter zusammen, voller Staunen
über den Morgenstern in seinem Schädel. Sein Kumpan hatte nur einen
Sekundenbruchteil, sich über die sich überschlagenden Ereignisse zu
wundern, dann knackte sein Genick entzwei und er fiel schweigend in die
Büsche.
Nachdenklich rieb sich Williwald Zwillensturm, Sohn des Greifen von Zwirm und
Tochter der Kleinwüchsigen Wagebolda von Sturmzwille, seinen Arm.
Die Dorfbewohner hatten von alldem nichts mitbekommen, aber so war es
auch besser. Er hatte sie für heute noch einmal gerettet. Doch gab es
kein Vertun. Der Natternkönig war ja noch nicht da. Die entscheidende
Schlacht würde erst noch beginnen.