Gruppe 13


Räuberpistolen für den Hausgebrauch


Beule

von Lothart Medäus

Es war Fastnacht im Letzten Loch. Nicht, dass offiziell Fastnacht gewesen wäre, denn rein kalendarisch war es einfach nur ein ultraheißer Sommertag. Nein, „Fastnacht“ nannten die Besucher der Spelunke jeden Abend, an dem einer blank zog und seine Eier oder seinen Zimtstängel unter der Fettwampe hervorkramte und ihn auf den Tresen legte. Ursprünglich gab es dann mal eine Runde aufs Haus, aber wie das Traditionen so an sich haben, ändern sie sich auch gerne mal, und so musste jetzt derjenige einen ausgeben, der sein Ekelteil auf den Tresen klatschte. Ultje, die Betreiberin vom Letzten Loch hatte irgendwann erkannt, dass es so rum für sie doch lukrativer war.
„Klatsch“, machte es, Bino schwang sein Gemächt auf den Tresen und wickelte es liebevoll in einen Zwanziger.
„Hol’s dir, Ultje“, lachte er dreckig.
Ultje griff nach dem Baseballschläger hinter sich und schon war der Schwanz vom Tisch und ein neuer, druckfrischer Schein lag auf dem Tresen.
„Scherz gemacht“, grunzte Bino kleinlaut. Scheiße-Werner und Werner lachten und prosteten Bino mit ihrem frischen Stroh 80 zu. Auch Ali Bar Bar kam von seinem geliebten Majong-Automaten an den Tresen gewackelt und holte sich seinen Shot ab.
„Auf dich, Bino“, prostete er und knallte sich das Gesöff hinter die Binde. Im Letzten Loch war Stroh 80 außer Starkbier mit Schuss das alkoholärmste Getränk, gerne als Absacker gezischt oder zum Vorglühen, bevor man sich den „guten“ Getränken widmete. Die meisten waren selbst gebrannt und hatten teilweise einen Alkoholgehalt von mehreren hundert Prozent. So munkelte man zumindest in ganz Bottrop. „Nein!“, schrie Bino. „Nein, wir trinken heute nicht auf mich! Wir trinken heute auf Beule!“
Augenblicklich wurde es still in der Bar. Ultje drehte die Musik leise. Ali Bar Bar hörte auf, mit den Münzen in seiner Hand zu klimpern. Scheiße-Werner nahm seine Hand aus der Hose.
Die Blicke aller Anwesenden zeugten von höchster Ehre. Mega-Ehre. Das waren die Gesichtsausdrücke, die nur einer echten Legende gezollt wurden. Einer Kneipen-Legende. Beule.

Es musste im Jahr 1999 gewesen sein, oder 2000, irgendwann rund um das berühmte Millennium, der Super-Crash, der alle Computer lahmge-legt, den Döner weltweit auf einen Schlag 4 Euro teurer gemacht und dazu geführt hatte, dass Frauen alle fett geworden waren. Noch fetter als vorher.
Irgendwann rund um diesen Tag war Beule das erste mal im Letzten Loch aufgeschlagen – und einfach dageblieben. Als er in der Tür stand, wurde er von allen abschätzig gemustert. Denn er war schwarz. Und schwarze Menschen kannte man hier nur aus dem Fernsehen. Und von früher, als noch Kohle gescheffelt wurde in den Bergwerken. Aber die Zeiten waren schon lange vorbei. Heute gab es Internet und Fahrräder, Zahnseide und Freudenhäuser.
Nunja, da stand der Typ. Schwarz, schwankend, gekleidet wie ein Kleinwüchsiger. Und das erste was er tat: er kotzte in die Bude. Dann rannte er zurück, Mascha (die Vorgängerin von Ultje (Anm. d. Red.) wollte schon die Knarre zücken, doch der Typ lief nicht weg. Er drehte draußen auf der Straße um, rannte wieder ins Letzte Loch und rutschte mit den Füßen über seine eigene Kotze bis zum Tresen. Jeder andere hätte jetzt einen Bierkrug übergezogen bekommen, aber nicht Beule. Er lachte die Besucher an, zog einen 300 Euro Schein aus seiner Calvin Klein Boxershort und bestellte erstmal Drinks für alle. Und dann wurde gesoffen. Und zwar ein Jahr, ohne Pause.
Beule hatte irgendwie immer Geld für Schnaps, aber Wohnung konnte er sich keine leisten. Wollte er nicht, sagte er. Er gab Mascha 20 Euro pro Nacht und dafür durfte er hinter der Bar pennen und die Toilette benutzten. Wobei er meistens sowieso eine Windel trug.
Beule redete nicht viel. Was einfach daran lag, dass er die meiste Zeit mit trinken beschäftigt war oder mindestens einen Schnaps im Mundwinkel hatte. Manchmal, wenn er besonders gut drauf war, legte er den Kopf in den Nacken und gurgelte einfach, was er sagen wollte. Das ging teilweise mehrere Stunden so, wobei man als Zuhörer höchstens ein paar Wortfetzen aufschnappen konnte. Meistens war es irgendwas mit „…verkloppt“ oder „flachgelegt“. Aber es klang alles ganz besonders, es hatte einfach Stil. Werner behauptete, dass Beule ihm mal erzählt hätte, dass dieses gurgelnde Sprech die Ursprache der Menschen wäre, aus Afrika. Beule war ja eigentlich Afrikaner, also zumindest der Abstammung nach. Gelebt hatte er dort nie, immer nur im Ruhpott. Naja, aber die Gene hatte er ja irgendwie schon noch.
Beule hatte eigentlich nie Probleme mit jemandem, außer mit der Polizei. Einmal kam ein Zivilbulle ins Letzte Loch, da machte Beule kurzen Prozess und sperrte ihn im Klo ein. Seitdem zeigt das Schildchen an der Klotür ein rotes Besetzt-Zeichen. Man erzählt sich, der Bulle wäre entkommen, indem er durch den Kanal bis nach England getaucht wäre. Denn die Abwasserkanäle führen ja alle in den Ärmelkanal. Zumindest die neuen, früher ging ja alles in die Erde. Schweinerei war das.
Entgegen den anfänglichen Befürchtungen von Mascha tat Beule dem Letzten Loch richtig gut. Nicht nur die Übernachtungsgebühr, die er entrichtete, der nicht unerhebliche zusätzliche Umsatz, den er ersoff, die Runden, die er ausgab, nein, auch seine Präsenz und sein Unternehmergeist machten richtig Laune. Zum Beispiel führte er eine „Bier-Steuer“ ein: Jeder, der ein Bier trank, musste diese Steuer bezahlen, sie errechnete sich nach einer komplizierten mathematischen Formel und war exorbitant hoch. Da Beule aber jedem eins in die Fresse gab, der die Bier-Steuer nicht bezahlte, machte es sich langsam in der Kasse bemerkbar. Mascha konnte einen neuen Fernseher für die Fußball-Übertragungen kaufen, größere Bierfässer für den Gerstensaft und konnte sich sogar eine Brust aufspritzen lassen. Die andere ließ sie so, wie sie war. „Man muss ja noch Ziele haben im Leben“, grinste sie schelmisch. So ging es Tag ein Tag aus, immer ein bisschen besser. Es wurde mehr geraucht, mehr gesoffen, mehr rumgemacht, kurz: es wurden einfach wesentlich größere Zöpfe geflochten als in den Jahren zuvor.
Und dann, plötzlich, von einem Tag auf den anderen, war Beule weg. Keiner wusste wohin, er war wie vom Erdboden verschluckt. Hinter der Bar, wo er geschlafen hatte, fand Mascha am Morgen nur einen Brief. Es stand nichts darauf. Er war adressiert an ein Konto in Liechtenstein. Das ganze Letzte Loch rätselte: War Beule einfach so abgehauen? War er in eine andere Kneipe gezogen? Und: war er überhaupt jemals da gewesen? Seine Geschichte war so seltsam wie eine antike Sage, außer dass sie keinen Sinn ergab. Oder war das der Sinn? Keiner wusste es, keiner wollte sich anmaßen, die Komplexität zu entzüngeln. Beule blieb eine Legende. Beule 4 Life.


Kindergarten-Fäkalsprache, Frauen-Diskriminierung und pseudo-intellektuelle, dabei aber augenscheinlich falsche Formulierungen… gefällt mir richtig gut!
Alice Schwanzer

Ich nix verstehen.
Ein Ausländer