Erinnerungen an Wachtmeister Wuff
von Justin-Rolf Colt
Pascal ist wieder am Trainieren. Das Gesicht vor Anstrengung zu einer bizarren, tiefroten Fratze verzerrt, grunzt er vor sich hin, während ihm regelmäßig Speichel aus dem Mund spritzt. Er klingt wie ein geiler Hirsch mit Erkältung. Seine Adern liegen wie pulsierende Gartenschläuche über seinen unpraktisch großen Muskeln. Sechs Stunden am Tag seit drei Monaten. Er isst ausschließlich Fleisch und Nahrungsergänzungsmittel. Klar stopft er. Seine eiserne Zielstrebigkeit, seine Bereitschaft zur völligen Selbstaufgabe lassen selbst professionelle Athleten neben ihm erblassen. Die meisten von ihnen meiden ihn, wenn er auf seiner Hantelbank vor sich hinbrumpft und schwitzt.
Pascal war nicht immer der muskelbepackte, körperfettlose Hüne, der
er heute ist.
Vor einem knappen halben Jahr war er noch „Schwabbel“, der fette Typ
mit der unreinen Haut. Glänzende Strähnen von dünnem, blassbraunem
Haar rahmten sein rundes, sonnenscheues Gesicht. Er sah aus wie ein zu
großes Kind in den Neunzigern mit Diabetes. Aufgrund seiner
unglücklichen Erscheinung begleiteten ihn Spott und Hohn bereits seit
seiner Entbindung, bei der er vor Lachen fallengelassen wurde. Es
fühlte sich an, als könne er die missgünstigen, verachtungsvollen
Blicke auf seiner Haut spüren. Doch selbst mit diesem Hintergrund
erschienen ihm die Kinder aus der neuen Gruppe gnadenlos und brutaler
als alle Vorangegangenen. Gyntlin und Roypokk, Zwillinge eines
alleinerziehenden Amateurkunstsammlers, waren die Schläger der Truppe.
Gandalf-Karl-Merlin das eiskalte Hirn und selbst der leiderfahrene
Autist Hakan-Cornelius ließ es sich nicht nehmen, Pascal in der
Hackordnung deutlich unter sich zu platzieren. Am schlimmsten jedoch
war die Anführerin - Lorén. Die Ausgeburt eines
Zahnarzt-Lehrer-Pärchens war ein dürres, blondes Ding, das Pascal mit
psychologischer Präzision fertig machte. Sie hatte einen Sensor wenn
es um seine wunden Punkte (hässlich-und-fett-sein) ging, und sie
schlug bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu. Pascal hatte panische
Angst vor ihr.
Eines Tages, es war Pascals Geburtstag, artete die fast schon
routinierte Tirade von Demütigungen und Beleidigungen dermaßen aus,
dass Pascal weinend zusammenbrach und von seiner Therapeutin für ein
halbes Jahr aus der Gruppe genommen wurde. Pascal war so dermaßen am
Boden zerstört, dass er sich an einem Scheideweg wähnte. Entweder es
ändert sich etwas – er ändert sich – oder er würde elendig
zugrunde gehen. Pascal hatte genug davon, unterlegen zu sein. Er
meldete sich im Fitnessstudio an und begann wie ein wilder Affe zu
trainieren, und er hörte nicht mehr auf. Seine Komplexe trieben ihn
von einem Extrem ins nächste. Nach wenigen Wochen sah er bereits aus
wie eine zu hastig aufgepumpte Menschenattrappe, aber eine gewisse
Bedrohlichkeit konnte man ihm trotz seines Haarschnitts nicht
absprechen.
Wie würden die anderen reagieren? Das halbe Jahr war um, und trotz
seiner extremen Verwandlung war Pascal mulmig zumute. Seine Hände
schwitzten vor Aufregung. Er konnte die Stimmen der anderen durch die
Tür zum Gruppenraum hören. Er drückte die Türklinke herunter und
betrat den Raum. Die Stimmen verstummten und alle drehten sich zur
Tür. Lorén hob ihren Kopf und funkelte ihn mit ihren blaue Augen an.
„Na, du fettes Kackswein!“
Etwas in Pascals Hirn zerbrach mit einem hörbaren Knacken. Die Welt färbte sich rot vor seinen Augen. Der siebenundreißigjährige Erzieher rannte auf Lorén zu und schlug der Dreijährigen mit aller Wucht ins Gesicht. Die Polizei benötigte sieben Schüsse (drei davon in den Kopf) und die Hilfe zweier äußerst aggressiver Polizeihunde1, ehe Pascals bereits toter Körper von dem kleinen Mädchen abließ.
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Wachtmeister Wuff und Hauptkommissar Hund ↩︎