Gruppe 13


Räuberpistolen für den Hausgebrauch


Der Bär und das Mädchen

von Paul Bond

„Amerika!“ Mahony trat die dünne Sperrholztür ein und leerte seinen 45er Colt mit geschlossenen Augen in den kleinen Raum. Wie wütende Donnerschläge hallten die Schüsse der großkalibrigen Pistole durch die dünnen Wände der Hütte in die karge Winterlandschaft hinaus und das festlich geschmückte Fenster blitzte auf, wie eine Stroboskopleuchte, die in einen Kindersarg gefallen war. Kristallkugeln zerbarsten, liebevoll eingepackte Geschenke explodierten und ein festlich eingetopfter Nadelbaum fing Feuer. Für Sekunden verwandelte sich der Innenraum der kleinen Hütte in ein buntes Inferno.
Wie immer nachdem er seine Waffen abgefeuert hatte, presste sich seine Männlichkeit hart gegen die Steinkopfadlerschnalle seines Krokodilledergürtels und er musste an Nancy denken.

Nancy. Mahony liebte sie über alles, aber sie war nur eine Frau.

Er öffnete seine Augen und blinzelte, als ihn das gelbe Licht der sanft pendelnden Deckenlampe blendete. Er ignorierte die reglose Gestalt am Boden sowie das Wimmern und Schluchzen aus dem hinteren Bereich des Raumes, als er durch Rauch und Scherben zur Hintertür der kleinen Behausung schritt. Es war nicht so, dass ihm das Töten Freude bereitete, gerade nach dem von ihm initiierten Ableben Unschuldiger war ihm manchmal sogar unwohl (er war froh, dass er die Bewohner der Hütte nicht persönlich kannte) andererseits gab es ihm auch ein Gefühl der Wärme, wenn er die Leben von Amerikas Feinden, eines nach dem anderen, aushauchen durfte. Weder die stark blutende Frau am Boden, noch das vor Entsetzen erstarrte Mädchen am Ende des Raumes, waren der große, bärtige Mann, den er suchte.

30 Tage hatte er ihn zu Fuß durch die sibirische Steppe an diesen abgelegenen Ort verfolgt. Nachdem Ninjas sein Flugzeug in eine Falle gelockt hatten, der er nur haarscharf entkommen war: er sprang ohne zu zögern aus der Maschine, und häutete hurtig und gekonnt, in freiem Fall, einen der schwarz bandagierten Tunichtgute, um dessen entkerntes Äußeres in einen improvisierten Fallschirm zu verwandeln, mit dem er nur wenig unsanft in russischem Waldgebiet landete. Sein Training hatte ihn für das Überleben im bolschewistischen Urwald vorbereitet, doch da er mit dem Kopf zuerst gelandet war, triggerte der dichte Wald mehr Flashbacks als üblich. Der Geruch verbrannter Haut und die flehenden Augen des kleinen Ling-Lings begleiteten ihn auf Schritt und Tritt durchs finstre Grün.
Er ernährte sich überwiegend von Murmeltieren und kleinen Steinen vom Wegesrand. Als er nach der dritten Woche eine verrostete Dose Crystal Pepsi fand, weinte er ein bisschen und schwor, eines Tages ein Denkmal an dieser Stelle zu errichten. Wenige Tage später führte ihn die Spur zu einer kleinen Hütte am Rande des Waldes.

Mahony zog seine Kunstlederjacke fest, atmete tief durch und öffnete die Hintertür des Häuschens.

Die schwarze Silhouette des Mannes hob sich deutlich vom von gekränktem Mondlicht getränkten Schnee ab. Er war weit über zwei Meter groß, und komplett nackt. Nur sein dichtes Fell schien ihn von der bitteren Kälte zu schützen. Langsam drehte er seinen wuchtigen Körper herum und starrte Mahony direkt in die Augen. Der CIA-Agent konnte es nicht fassen. Ein Bär!
Seiner Überraschung geschuldet, sah er die Pranke zu spät kommen und die Klauen des pelzigen Terroristen gruben sich schmerzhaft in seine linke Flanke, um ihn auszuweiden. Ein vermeintlich tödlicher Angriff, hätte die Biographie John Waynes, in Mahonys Jackentasche, nicht die größte Wucht der Attacke abgefangen. Mahonys Training übernahm sein Handeln. Er tauchte automatisch unter der nächsten Pranke hindurch und verpasste der Bestie einen gehörigen Schlag in die Nieren – ohne Auswirkungen. Die Rückhand der haarigen Killermaschine traf ihn mit voller Wucht im Gesicht und er wurde in hohem Bogen gegen die durchlöcherte Wand der Hütte geschleudert. Die klaffende Wunde in seiner Seite sprenkelte den Schnee in bedrohlichem Purpur und passend gefärbte Bläschen blubberten aus seiner nach links gebrochenen Agentennase. Erschöpft und benommen schob sich Mahony an der Wand hoch. Sollte dies sein letzter Kampf sein?
Triumphierend bäumte sich der Terrorbär vor ihm auf, und sein spanisch akzentuiertes Brüllen erfüllte die Nacht. Es endete abrupt mit einem lauten Knall. Der Bär sank in sich zusammen und sein Körper verharrte leblos im Schnee.

In der Tür der Hütte stand ein kleines Mädchen mit lockigem Haar und einem Elefantengewehr.
„Danke Kleines“, näselte Mahony, „du hast mir das Leben gerettet.“
„Ja, damit ich dir das Deine nehmen kann“, sagte das Mädchen mit harter Stimme. „Du hast meine Mutter erschossen und jetzt werde ich dir den gleichen Gefallen erweisen.“
„Du willst meine Mutter töten?“ fragte Mahony, der sich routiniert die Nase richtete.
„Nein, dich.“ sagte sie, während sie den Lauf der überdimensionierten Flinte auf ihn richtete.
„Ach so, hey, nicht so schnell, kleine Maus!“ sagte Mahony hastig. „Es tut mir Leid um das, was passiert ist, aber deine Mutter ist als Heldin gestorben. Ihr Tod war unvermeidbar, aber nicht umsonst. Ich habe einen Vorschlag für dich: Komm mit nach Amerika, wir brauchen junge Frauen von deinem Kaliber, außerdem würde ich dir sehr viel Geld geben.“ Das Mädchen dachte kurz darüber nach und zeigte sich einverstanden: „OK!“
Mahony seufzte erleichtert. Er schaute auf seine Armbanduhr. Es war Weihnachten.


Romanauszug, Die Faust des Westens von Paul Bond, Kapitel 5 Der Bär und das Mädchen*, Seite 76*