Gruppe 13


Räuberpistolen für den Hausgebrauch


Die Kardinälin und der Kardinal

von Aphrodite J. Ransom-Cattle

Bereits seit Stunden strömte der Regen gotteszornartig die Via del Governatorato entlang und mäanderte nun in reißenden Pfützen und flutenden Bächen über das historische Pflaster. Aus der Chiesa di Santo Stefano degli Abissini kroch leiser Psychobilly in den Gehörgang der umherstreunenden Katzen, tat sich aber schwer gegen das laute Rauschen des Regens. Im nassen Asphalt spiegelte sich der Mond kaum erkennbar durch den alles ertränkenden Vorhang aus Wasser. Ein Motorengeräusch näherte sich. Gelbe Katzenaugen funkelten hinter eine Mülltonne und verschwanden wieder im Dunkeln, als eine Vespa röhrend um die Ecke bog und aquaplaningbedingt fast gegen die Mülltonnen schlitterte. Der Fahrer konnte die Maschine gerade noch rechtzeitig unter Kontrolle bringen und beschleunigte sofort wieder, als sie festen Boden unter den Reifen verspürte. Der Regen legte noch eine Schippe drauf.

Die Kardinälin hatte Hunger. Ihr Bein hing in einem perfekten linken Winkel von ihrer Hüfte herab und fühlte sich taub an. Sie konnte sich nicht genau an den Zeitpunkt erinnern, als sie ihr Bein zuletzt gespürt hatte. Es musste ein paar Tage her sein. Auf dem Tisch lagen noch die Knochen der letzten Katze, die sie verspeist hatte; ein bisschen dünn war sie gewesen, aber geschmeckt hatte sie dennoch. Panierte Katze in Erdnussbutter gedünstet und mit Salmiakpastillen gefüllt war ihr Lieblingsgericht. Hier im Vatikan war es mit der Esskultur leider nicht so weit hin. Sie hatte lange nach einem Koch suchen müssen, der ihre Lieblingsspeisen zubereiten konnte. Katze für Kardinälin Kumpiää. Die vielen K’s gefielen ihr so gut, das sie es noch sechsmal wiederholte. Gut, es gab die klassische italienische Küche, doch beim Gedanken an das ständige Olivenöl und Singvogelherzen musste sie aufstoßen. Wie unzivilisiert musste man sein, um auch nur daran zu denken, Singvögel zu verspeisen! Sie war sich sicher, dass die leichte Magenverstimmung von Kardinal Mumba auf den Genuss einer Nachtigall zurückzuführen war. Bei dem Gedanken, wie der fette Kardinal die Nachtigall tranchiert hatte, schüttelte es sie am ganzen Leibe. Es war Zeit für weitere Reformen im Vatikan. Sie widmete sich wieder ihrer Lektüre des letzten Landser-Heftes („Sturm auf die roten Funker”) und machte sich still Notizen in ein kleines Oktavheft. Auf ihrem Sekretär lagen bereits vierzig voll geschriebene weitere Hefte. Bald musste ihr Abendessen kommen.

Kardinal Mumba blickte aus dem Fenster und spähte in die Dunkelheit. Der Regen klatschte an das Fenster und machte jeden Versuch, draußen etwas erkennen zu wollen, zunichte. Und doch, da war ein kleines Licht, und es wurde größer. Endlich kam der Pizzaservice! Es wurde auch Zeit, zwei Stunden war sein Anruf bereits her. Der Kardinal drückte auf den gelben Knopf neben seiner Nachttischlampe und wartete auf die Meldung seines Dieners.
„Monsignore?”, fiepte kurz darauf eine rauchige Stimme aus der Sprechanlage.
„Die Pizza kommt. Bitte erledigen Sie das. Kein Trinkgeld heute.”
„Wie Sie wünschen”.
Mit einem leichten Seufzer sank Mumba zurück auf seine Yogamatte und sortierte seine Hautfalten von neuem. Er war der Schöpfer des vatikanischen Stils, und präsentierte ihn nicht ohne Stolz bei den Freitagsmessen in der Basilika. Nicht allen gefiel diese Art, Messen zu zelebrieren, und ganz besonders diese gottverdammte neue Kardinälin aus Estland war ein nichtendenwollender Stachel in seinem Hintern. Er bekam einen Wutanfall, wenn er an sie dachte. Was sollte auch schon dabei rauskommen, wenn sich nun das schwache Geschlecht an die Spitze der Kirchenhierarchie geschummelt hatte. Wie konnte unser gütiger Vater so etwas zulassen?, dachte er mit Groll, warum waren diese Putschistinnen noch immer an der Macht? Er schritt zur mahagonigetäfelten Kommode und nahm sich eine papierne Serviette aus der obersten Schublade. Die Konterrevolutionäre standen bereit, so viel wusste er sicher, auf sie konnte er sich verlassen. Doch erstmal gab es eine leckere Pizza Funghi mit Vogel.

In der Sixtinischen Kapelle löschte Papst Muhammad I. die Kerzen. Leise zischend verrauchten die Dochte zwischen seinen spuckegetränkten Fingern. Die letzte Kerze ließ er brennen und und machte sich daran, seine arabische Oud wieder in den Koffer zu packen. Nachdem sie gut verstaut war, strich er sich über sein glattrasiertes Kinn, ließ seinen Blick über die großartigen Fresken an der Decke streifen, und dachte einen Augenblick nach.
Dann einen weiteren Augenblick.
Aus dem Augenblick wurde eine ganze Weile.
Doch leider fiel ihm nichts ein, nur Galileo Galilei huschte kurz durch seine Synapsen. Dann nahm er die Kerze in seine linke Hand und den Instrumentenkoffer in seine rechte, besah sich einen Augenblick in ruhiger Faszination das heiß auf seine bloße Haut tropfende Wachs, und schritt dann gemächlich dem Ausgang entgegen. Seine Frau hatte ihm hoffentlich schon eine bekömmliche koschere Speise zubereitet.

„VERRAT!” gellte es aus breiter Frauenbrust.
„Bringt mir seinen Kopf!” Kardinälin Kumpiää war puterrot angelaufen und rang mit ihrer Fassung. Vor ihr lag ein zierliches Steak aus der Hüfte eines Singvogels, dekoriert mit fünf grünen Erbsen und garniert mit einer stilisierten Vogelfeder aus Marzipan.

„GOTTVERDAMMT!” schrie es aus schmaler Männerbrust.
„Ich lasse sie vierteilen!” Kardinal Mumba zitterte am ganzen Leibe und konnte noch immer keinen klaren Gedanken fassen. Auf seinem Teller lag ein Stück panierte Katzenbrust, in Erdnussbutter gedünstet und vermutlich auch mit Salmiakpastillen gefüllt, aber bevor er sich hatte vergewissern können, war ihm übel geworden und er hatte sich über die Speise erbrochen.

Papst Muhammad I. hatte die Tür seines Mazdas kaum erreicht, da fiel ihm etwas ein. Genauer gesagt, es war der erste greifbare Gedanke des Tages. Er fing an zu strahlen und der Schein um ihn herum wurde etwas heller. Ein guter Gedanke, wie er fand. Ja, einer der besten Gedanken, die er je gefasst hatte. Er nahm sich vor, ihn sogleich festzuhalten, zog aus der Tasche seines gesteppten Parkas aus versteigerten ukrainischen Armeebeständen seinen Newton, ein kleines elektronisches Gerät, welches seit 22 Jahren unverzagt seinen Dienst verrichtete, und tippte mit dem Eingabestift darauf herum. Nach zehn konzentrierten Minuten, er hatte sich mehrfach vertippt und musste wieder von vorne anfangen, stand der Satz in seinem digitalen Notizbuch. Stolz blickte er ihn an und wägte seine Worte ab. Er nahm sich noch einmal Zeit, die letzte Silbe auszubessern, dann drückte er auf Save. Die Intrigen im Vatikan würden schlagartig verebben, wenn sie es morgen auf ihren Smartphones lesen würden: „Esst vegan. Trinkt vegan. Lebt vegan. Das Wort Gottes. Dank sei Gott, dem Herrn. Amen.”