Gruppe 13


Räuberpistolen für den Hausgebrauch


Fett II - Cool wie Mayo

von Justin-Rolf Colt

Ulfgang schmierte sich die Mayonnaise großzügig auf das “Bauernbrot”, welches er in Plastik eingeschweißt beim Discounter seines Vertrauens erworben hatte. Daumendick, so hatte er es am liebsten. Eigentlich wollte er abnehmen, aber es war ja gerade Corona und der gelblich-weiße Fettstreifen auf seinem fabrikgefertigten Brotimitat glänzte ihn geradezu verführerisch an. “Komm, iss mich!”, flüsterte ihm sein Essen unverhohlen zu. Ein Bissen würde ja wohl kaum schaden? Wenn man sich Dinge verbietet, erreicht man sowieso nie seine Ziele. Er wollte nicht den Fehler begehen sich gleich zu demotivieren, wo er sich doch gerade erst am Beginn seines Abenteuers “Traumkörper” befand.
Tatsächlich ging Ulfgang davon aus, dass er den Körper seiner Träume schon längst besaß. Er musste nur geborgen werden. Mayonnaise besteht nicht nur zu 80-90% aus Fett. In der Regel sind auch 1-1,5% Eiweiß in ihr enthalten. Ulfgang war ziemlich schwer, was bedeutete, dass seine Muskeln weitaus mehr Arbeit verrichten mussten als die gewöhnlicher Menschen. Die konstante Versorgung mit Mayoeiweiss musste dazu geführt haben, dass sich unter all der Scham und all dem Schwabbel ein Körper befand, der jetzt schon bereit für Strände und gehobene Bordelle war. Ulfgang musste ihn nur finden und aus seinem Körperfett bergen. Er sah das archäologisch. Er würde nach seinem Mayonnaisebrot gleich mit der Ausgrabung beginnen. Einmal über den Friedhof joggen. Der war direkt vor der Tür und joggen war einfach. Wie Gehen, nur in schnell. Nach dem zweiten Mayonnaisebrot machte er sich eilig auf ins Erdgeschoss.

Als Ulfgang vor der Tür angekommen war, lehnte er sich erst mal erschöpft gegen die Hauswand und keuchte wie ein überwundener Aal. Er hatte die Anzahl der Treppenstufen vom ersten Stock herab unterschätzt, und die frische Stadtluft schlug ihn mit ihrer relativen Reinheit brutal in den Frontallappen. Erbrochenes kitzelte in einem kurzen Moment der Panik die Unterseite seiner Zunge. Doch es gelang ihm das Mayomagensaftgemisch zu bändigen und in die Untiefen seiner Verdauung zurück zu drängen. Er fragte sich, ob es den Soldaten in Afghanistan ähnlich erging. Er wollte nicht voreilig sein, aber ein gewisses Heldentum konnte man ihm doch für seinen Wagemut kaum absprechen? Andererseits wollte er es unbedingt vermeiden, sich vor seinem dreißigsten Lebensjahr eine posttraumatische Belastungsstörung einzufangen. Cool bleiben, Ulfgang. Cool wie Mayo.
Nach einer halben Stunde betrat er mit neuer Energie den Zentralfriedhof. Als er durch das eiserne Tor schritt, staunte Ulfgang nicht schlecht als die Mittagssonne schnurstracks, wie ein geprügelter Feuerhund am Firmament verschwand und nur noch fein säuberlich platzierte Fackeln den Pfad zur Friedhofsmitte beleuchteten. Das Tor fiel hinter ihm mit einem endgültigen Krachen ins Schloss. Ulfgang traf wie so oft in seinem Leben die offensichtliche Entscheidung und folgte dem fackelbeleuchteten Weg.
In der Mitte des Friedhofs angekommen bot sich ihm eine weitere Überraschung. Eine weiß gedeckte Tafel erwartete ihn. Er joggte langsam darauf zu. Auf einem silbernen Tablett thronte der vermutlich größte Haufen Mayonnaise, den er in seinen sechs- oder siebenundzwanzig Jahren Lebenszeit je gesehen hatte. Bestimmt mehr als fünf Eimer! Ulfgang trat an den Tisch und begann sofort die Taschen seiner microfasernen Sporthose mit dem weißen Gold vollzustopfen. Mit bloßen, glänzenden Händen wühlte er durch das samtige Fett und hörte auch dann nicht auf, als ihm ein Teil seiner Beute bereits aus den Hosenbeinen rann.

“Nimm Platz, Mensch” dröhnte eine Stimme von rechts oben aus der Dunkelheit. Ulfgang hielt erschrocken inne und reagierte erst mal gar nicht - eine Taktik, die sich für ihn bereits in vielen Not- und zwischenmenschlichen Situationen bewährt hatte. Dann vernahm er ein leises, piepsiges Kichern von weiter unten. Wegen seines hohen Blutfettanteils waren seine Sinne besonders geschärft. Er kniff die Augen zusammen und spähte tief in die Dunkelheit hinter dem Fackelschein. “EY! EY, ich SEH euch! HALLO?! JA! ICH SEH EUCH! EY!”, schrie Ulfgang aufgeregt, als er mit ausgestrecktem Arm seinen Zeigefinger auf zwei kauernde Schemen zwischen den Grabsteinen richtete. “EY, KOMMT RAUS! Ich - SEH - euch!”. Ulfgang hörte ein aufgeregtes, piepsiges Flüstern und kurz darauf kamen zwei, jeweils etwa 1,40m große Gestalten mit gesenkten Köpfen aus ihrem Versteck geschlurft. Eine von ihnen ließ einen Gegenstand zu Boden fallen, welcher später von Wissenschaftlern als Mikrofon-mit-Sprachmodifikator identifiziert werden sollte und nach seiner Kommerzialisierung ein Hit bei Kids und Rentnern wurde. Die Ertappten waren von grün-gräulicher Farbe und äußerst mager. Ihre Köpfe aber waren aufgeblasen wie Luftballons und ihre schwarzen pupillenlosen Augen schienen jeden Moment aus ihren Schädeln zu bersten.
“Hallo Ulfgang”, sagten sie mit einer Stimme. “Wir sind gestrandete Aliens aus den unendlichen Weiten des Weltraums. Hilf uns und wir werden dir einen Wunsch erfüllen.” Ulfgang fiel auf seine Standardtaktik zurück und verharrte wie ein fetter, eingefrorener Hase. “Wir müssen Satan besiegen. Nur sein Reich birgt genug Energie, um unser Raketenschiff wieder flott zu kriegen.”
“Woah, Satan?!”, entfuhr es Ulfgang - der Schock saß zu tief, um die Eisnummer aufrecht zu erhalten. “Das ist mir eine Nummer zu heiß, Freunde. Wie kommt ihr denn ausgerechnet auf mich?” fragte er die ballonköpfigen Aliens. “Dein Körperfett schützt dich vor dämonischer Einflussnahme!”, antworteten sie wieder unnötig, nach Ulfgangs Auffassung, synchron.

Er überlegte. Das Silbertablett war leer und er hatte es geschafft mehrere Kilo Mayonnaise in und über seine Sportkleidung zu verteilen. “Wisst ihr was?”, sagte er nachdenklich. “Ich glaube, ich habe bereits alles, was ich brauche. Ich kann jetzt akzeptieren, wer ich bin. Ich bin ein Typ, der gerne Mayo isst und deswegen vermutlich nicht die 30 erreicht, aber es ist meine Entscheidung, mein Leben, und ich bin wunderschön. Ihr Aliens, ihr müsst endlich lernen, eure Probleme selbst zu lösen und Verantwortung zu übernehmen. Lasst doch Satan seine Energie. Lernt das Leben zu genießen, esst mal ‘ne Mayo, trinkt Cola Zero und versucht nicht immer, den Problemen davon zu laufen!”

Die Aliens standen regungslos mit ihren hässlichen, offenen Mündern vor Ulfgang und schauten ihn mit Bewunderung an. Dann - ein Rascheln hinter einem Grabstein. Ein Wesen, halb Mensch, halb Ente trat hervor. Es war mittlerweile wieder helllichter Tag. “Satan!”, entfuhr es Ulfgang und den Aliens, angemessen, nach Ulfgangs Auffassung, zugleich. “Ja, ich bin’s!”, sagte Satan mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. “Ich habe euch schon eine ganze Weile belauscht und ich muss sagen ich bin wirklich beeindruckt, Ulfgang. Du bist hierher gekommen, um deinen Körper zu finden, wurdest in eine dämonische Alienintrige verwickelt und doch bist du dir stets treu geblieben und deinem Herzen gefolgt. Jetzt stehst du hier und wir können alle von DIR lernen. Danke für deinen Mut. Für mich bist du der coolste Held. Cool wie Mayo!”

Alle weinten vor Freude, und gemeinsam verbrachten sie den Tag in Freundschaft auf dem Friedhof, während sie sich gemeinsam an der angetrocknete Mayonnaise aus Ulfgangs Hosentaschen labten.

Diese Geschichte zu lesen ist in etwa so wünschenswert wie eine Wiederholung des Vietnamkriegs. - Zollamt Wiesbaden