Das Geheimnis der Pyramide
von James Perihel Azimuth
Wir ritten auf fünf gescheitelten Dromedaren in der frühen Morgendämmerung des 23. Juni 1907 in Richtung El-Arm-Shibusti los. Während ich grimmig an die schweren Aufgaben, die vor uns lagen, dachte, rekapitulierte ich die Worte aus der Heiligen Schrift, welche ich am Morgen stumm über dem Verzehr meines Porridgebreis gelesen hatte. Sie waren aus Jesaja 14,25: Ich zerbreche die Macht Assyriens in einem Land, auf meinen Bergen trete ich sie in den Staub. Aufmunternde Worte voller Kraft. Ich machte mir ob der Ungewissheit, in die wir ritten, dennoch ein wenig Sorgen.
Nach einem halben Tagesritt, keiner hatte ein Wort gewechselt, kamen
wir an eine Wasserstelle und gaben darob unseren Tieren zu trinken. Sie
tranken gierig. Smithers sah nicht gut aus, die Hitze machte ihm schwer
zu schaffen. Schweiß rann flussweise über sein sonnengegerbtes faltiges
Antlitz. Er kam aus der Hochebene von Cheltenham und hatte schon
einiges von der Welt gesehen, wundersame Schätze gehoben und
Dampfsaunenworkshops in Paraguay gegeben. Von Spreewald hatte einen hochroten Kopf, schien aber über die Runden
zu kommen. Er vermisste sein Berliner Gartenidyll im siebten Hinterhof
der größten Mietskaserne in der Spandauer Vorstadt, jeden Morgen
brach ein Lamento seine Bahn, größer als die Klagemauer im August. Byron und Forrester schienen am besten mit der sengenden
Hitze klar zu kommen, vielleicht eine Folge ihres Sommercamps im
Osmanischen Reich im vorigen Jahr. Wir nahmen unsere feinen weißen Hüte ab, wischten
uns den Schweiß von der Stirn und teilten unsere letzte Flasche Gurken-Gin,
die uns der König von Togo als Präsent mitgegeben hatte.
Von Spreewald war es dann,
der sie als erster sah. Nachdem er einen tiefen Schluck aus der Bottle getan hatte,
setzte er dieselbige langsam ab, und hob langsam seinen
staubverkrusteten Finger. Wir folgten ihm und erblickten staunend das
Wunder am Horizont. Wie ein Vater Morgana, goldharsch gleißend und
fantastikulös flirrend,
zeichnete sich dort unverkennbar die Silhouette der Großen Pyramide
von Choxilitotl ab. Wir nickten uns zu und wussten, am Abend schon würden
wir dort sein. War dort der Beweis einer atztekischen Kolonialisierung
des antiken Ägyptens zu finden? Wir wollten dieses Mysterium endlich
ergründen.
Mit einem gellenden Schrei erwachte Forrester und riss uns aus unseren
Träumen von Zitronenhainen auf der Isle of Skye und Mandelbäumchen in
Devonshire. Ein Skorpion hatte ihn erwischt, und es war, wie wir zu
unserem Erschrecken sahen, der Purpurne Wüstenderwisch. Vor seinen
Stichen hatte sogar Gevatter Tod Angst. Voller Bedauern begruben wir Forrester noch nach dem
Bananenfrühstück und setzten unseren Weg dann zu viert fort.
Wir hatten direkt am Eingang der Großen Pyramide unser Camp
aufgeschlagen, es lagen also kaum 20 Ellen zwischen uns und demjenigen
Abenteuer, dem wir schon seit Kindheitstagen unser ganzes Leben und
zahlreiche Schachpartien
gewidmet hatten. Nun war der große Moment gekommen. Wie oft hatten wir
ihn uns ausgemalt! Am Kaugummiautomaten, blasenpustend mit dem Roller
in der Hand, in der Studentenverbindung, farbentragend mit einem
Krüglein Ale in der Hand, beim Besuch des Endspiels um die paneuropäische
goldene Lederkugel am 22. Juni 1897 in London zwischen Arsenal und
der Damenmannschaft von Tennis Borussia Berlin. Smithers, der
Sprengstoffexperte, platzierte geschickt ein paar Stangen Dynamit an der Tür und
entzündete die Zündschnur. Mit einem enttäuschend leisen Puffen
explodierten sie, aber es war ein perfekter Türöffner ohne große
Beschädigungen. Dafür liebten wir Smithers, er wusste genau, wie man
eine Tür öffnet, ohne dass es wie Einbruch ausgesehen hätte. Eilig
rannten wir durch den Rauch, der unsere Bewegungen verdeckte. Ein
Beobachter hätte uns kaum bemerkt, hätte es einen gegeben. Leider
liefen wir nun etwas zu überhastet, ohne uns abzusichern. Dabei hatten
wir doch jeder das Handbuch für Pyramidenexkursionen studiert wie kein
anderer.
Den unglückseligen Byron erwischte es
zuerst. Ein Holzpflock bohrte sich von der Decke durch seinen Schädel
und stoppte erst in der Höhe des Knies! Glücklicherweise blutete er
nicht so stark, und so kamen wir den Umständen entsprechend mit
sauberen Hosen in den nächsten Raum. Eine dunkle Wolke stob auf,
tausende Fledermäuse rasten wie von Sinnen durch den Raum! Sie griffen
an! In Habachtstellung wehrten wir diesen ersten Angriff ab, dann
schossen wir wie wild mit unseren Flinten in die Wolke. Doch es waren
zu viele. Sie holten sich Smithers, und fraßen ihn bei lebendigem
Leibe.
Nun waren nur noch Von Spreewald und ich übrig! Vor dem
nächsten Raum spielten wir zehnmal Schere-Stein-Papier, und ich gewann
äußerst knapp, indem ich die letzte Runde blinzelte. Puh! Von
Spreewald trat also als erstes in den nächsten Raum und wurde sofort
von einer Mumie enthauptet! Vor Schreck steif, konnte ich mich nicht
bewegen, doch die garstige Mumie sah mich nicht. Was für eine Scheiße, dachte
ich. Da nahm ich meine Beine in die Hand und rannte um mein Leben
zurück zum Ausgang. Zum Glück passierte nichts weiter.
Ich aß die überzähligen Dromedare zu Abend und ritt auf dem letzten in 31 Tagen durch die Wüste. Nachdem ich in Cadih-pu-Alsah angekommen war, nahm ich das nächste Linienschiff nach Southampton, von dort den Zug nach Leicester und schloss mich in meine Bibliothek auf Moses Manor ein, um diesen Bericht zu verfassen. Der Grund meines Abenteuers war mir nicht mehr so wichtig, und so spielte ich noch eine Partie Schach mit meinem Schimpansen und legte mich schließlich ins Bett, um von Walfischen zu träumen.