Der weiße Elefant
eine Parabel von Holger H. Hallstein
Es ist nun schon eine Weile her, da stießen zwei mit mutigen
Seefahrern verstopfte Schiffe, welche die ihnen vertrauten Gewässer
bereits eine lange Zeit verlassen hatten, auf unbekanntes Land,
das gleichzeitig festes war. Sie ankerten in einer Bucht seichten
Wassers, und nachdem sie die in einer unverständlichen Sprache
sprechenden Einheimischen schließlich hinter den
zurückgesetzten Kokospalmen verscharrt hatten, ließen sie sich nieder und
pflanzten Tabak an.
Ihre Gesellschaft funktionierte gut, bis ihr Kapitän dem Biss einer
Schlange erlag, die sich eines Nachts mit ihrem Giftzahn in seiner Wade
verhakte. Als sich die Trauer der mittlerweile sesshaft gewordenen
Seefahrer nun langsam erschöpft hatte, verfielen sie ob der trüben
Aussichten eines herrschaftslosen Lebens in Panik, wurden apathisch und
unproduktiv und litten gar fürchterlichen Hunger. Bis eines Tages ein
großer Denker ihrer Volksgemeinschaft auf die Idee kam, sich einfach
einen neuen Anführer zu züchten.
Voller Hoffnung probierten sie so einiges aus. Sie kreuzten sich selbst
mit weißen Bohnen, sie paarten sich mit mächtigen Raubtieren, sie
stießen mit einem Lot in die tiefste Erdspalte des Kontinents vor,
doch dieser letzte Akt war bereits von Verzweiflung getrieben.
Endlich konnten sie dank CRISPR die Fleisch gewordene Saat ihrer Experimente mit
einer bei Ebay ersteigerten Genschere aus der Erde
schneiden: hervor kam ein riesenhafter Elefant von dem blendendsten
Weiß, das sie je gesehen hatten!
„Oho“, riefen sie aus, „bestimmt
weiß so ein gewaltiges Tier den rechten Weg für uns!“
„Jawohl“,
meinte dieser, „da habt ihr Recht, denn dafür habt ihr mich ja
gezüchtet. Wohlan, ich will euch über die rechten Schritte
unterweisen.“
Und er gab ihnen Frauen dazu. Da feierten alle ein
großes Fest, becherten bis zum Umfallen und rauchten von ihrem
Kraut.
Der Elefant lehrte die Menschen viele Dinge. Er war ein friedliebender
Elefant. Doch das neu entdeckte Land war größer als zuerst gedacht,
und es lauerten zahllose Gefahren hinter dem Horizont. Um den Frieden
seiner Untertanen zu wahren, entfernte der Elefant verdächtig
aussehende Lebensformen und zerstampfte vorsorglich die restlichen
kleinen Siedlungen der Einheimischen auf dem Kontinent. Die Siedler
dankten ihm für diese Vorsorge und beteten mehrmals am Tag für sein
Seelenheil.
Nun war der Elefant von einer Schar Vögel umgeben, die ihn berieten.
Zu seiner Linken saßen ein paar Tauben, zu seiner Rechten eine Schar
Falken. Beide konnten sich nicht leiden, taten aber ihr Bestes, um
ihren Boss nicht zu verärgern. Große Besorgnis umfaltete nun des
Elefanten Stirn, als ihm einige Falken von beunruhigenden Meldungen aus
Übersee berichteten: ein anderer Elefant, dazu noch von schwärzester
Farbe, herrsche über ein anderes Volk, welches keinen so glücklichen
Eindruck mache wie das eigene. Zwei seiner Berater erwähnten gar
Gerüchte von schwarzen Segelschiffen, die in dem fremden Land mit
allerlei spitzem Gerät beladen würden, wobei ihre Stimmen dramatische
Purzelbäume schlugen.
Schrecken überfiel den weißen Elefanten. Und da er nichts mehr
verabscheute als den Krieg und spitzes Gerät im Allgemeinen für sehr
besorgniserregend erachtete, stellte er ein Heer seiner Untertanen
zusammen und sandte es aus, auf dass es den Frieden bewahren würde und
ihre Kultur in die Herzen der fremdartigen Menschen tragen würde.
Das Heer stach in See und kam nach fünf Wochen in das schwarze Land.
Und tatsächlich, dort lagen mehrere Schiffe vor Anker, sie sahen ganz
und gar nicht vertrauenerweckend aus. Glücklicherweise war gerade
niemand zu Hause.
Die Späher des Heeres schlichen sich auf die Schiffe und steckten sie in Brand, versenkten die Überbleibsel aus
Vorsichtsgründen in gebührendem Sicherheitsabstand mit Kanonenkugeln aus der Ferne und waren froh, auf diese Weise kein
spitzes Gerät jemals aus der Nähe entdecken zu müssen. Vorsorglich
feuerten sie auch noch ordentliche Salven auf den Strand ab. Vom
schwarzen Elefanten war die ganze Zeit über nichts zu sehen (worüber
sich die Seefahrer sehr freuten, denn sie hatten Schlimmes
befürchtet). Zufrieden fuhren sie wieder zurück und berichteten
voller Stolz von der erfolgreichen Mission. Der weiße Elefant lobte
sie sehr und hielt eine Rede vor seinem Volk, in der er den Weltfrieden
nach endgültiger Beseitigung aller Gefahren ausrief. Während die
Falken heftig applaudierten, nickten die Tauben nur leicht mit dem Kopf
und waren eigentlich auch ganz froh.
Und so lebten sie alle eine lange Zeit und rauchten eine Menge und hatten überhaupt viel Freude an ihrer Existenz.
Und nach hundert Jahren standen sie wieder am Ufer und lachten und verabschiedeten ihre Kinder, die bereit waren, in See zu stechen und neues Land zu entdecken und in Besitz zu nehmen um ihr Geschlecht überall zu verbreiten und den von ihren Vorfahren erkämpften Frieden zu sichern.
Und der weiße Elefant lebt immer noch und schaut voller Wohlwollen auf seine friedliche Welt.
„Hallstein gehört nicht zu diesem Land.“
Abendblatt deutscher Patrioten
„Platt.“
Buchstabenquartett - Vierteljahresschrift zur aktuellen Literaturdebatte