Gruppe 13


Räuberpistolen für den Hausgebrauch


Der Hamsterklon von Traben-Trarbach

von Violet P. Räisänen

Es hatte eine Weile gedauert, bis Sammantah Schmitt eine funktionierende Methode fand, das Gehirn ihres verstorbenen Hamsters Mubarak in der Petrischale zu klonen, ohne dass es am Ende aussah wie zu lange gekochter Blumenkohl. Glücklicherweise hatte das Digitalisieren des Organs erstaunlich gut geklappt mit dem aus China bestellten Set. Eigentlich war es für die wissenschaftliche Erziehung kommunistischer Kinder gedacht, tat aber auch hervorragende Dienste als Labor für Experimente in der heimischen Küche, wie Sammantah fand. Für eine Steuerfachangestellte mit zweijähriger Berufserfahrung in der Großbäckerei hatte sie sich pfiffig geschlagen, wie die durchaus ansehnlichen Ergebnisse bewiesen. Nun konnte sie in Ruhe mehrere Versuche unternehmen, ein Hirn-Master herzustellen, denn sie hatte ein hervorragendes Backup in ihrem Computer. An einem verregneten Samstag im April stand sie nun zufrieden in ihrer kleinen Wohnung mit Moselblick vor ihrem Werk und lächelte. Morgen konnte sie beginnen, das geklonte Hirn tausendfach mit dem 3D-Drucker auszudrucken und in die Köpfe der schlafenden, nichtsahnenden, unbescholtenen und kaum besorgten Bürger von Traben-Trarbach zu transplantieren.

Anselm fütterte die Amseln. Er saß wie jeden Sonntag auf der ersten Bank hinter der Saumagenbrücke am Ufer der schönen blauen Mosel und war damit beschäftigt, die Neue Pfälzer Lügenpresse von vorne bis hinten durchzulesen. Er war gerade beim Sportteil angelangt und hatte intensiv die letzten Ergebnisse der Jugendabteilung des lokalen Schachclubs „Bauernopfer” studiert, als er auf Schreie aufmerksam wurde, die vom Spielplatz wenige Meter hinter ihm an sein Ohr drangen. Er legte die Zeitung aus der Hand und blickte sich um. Eine Mutter versuchte, ihren Sohn aus den Fängen eines Spiralenwipptieres zu befreien. Der kleine Racker hatte sich so unglücklich darum gewickelt, dass es ihm selbst unmöglich war, sich zu befreien. Mitleidig betrachtete Anselm eine Weile das vergebliche Gezerre der Frau, die hysterisch dabei schrie. Es war niemand sonst auf dem Spielplatz, und so dauerte das seltsame Spektakel nun an, ohne dass sich auch nur der geringste Erfolg einstellen mochte. Es wäre so einfach, dachte er sich, als er sich das Debakel genauer ansah, sie müsste erst den Arm und dann erst das Bein herauswinden, nicht erst das Bein und dann den Arm. Er schaute noch eine Weile zu und schüttelte kaum merklich den Kopf. In der Hoffnung, dass die verzweifelte Mutter doch noch einen Weg finden und es bald vorüber sein würde, nahm er die Zeitung wieder zur Hand und blätterte zum Sportteil, um weitere Ergebnisse lokaler Leibesübungen zu analysieren. Doch das Schreien hörte nicht auf. Er seufzte. Missmutig schickte er sich an, herüber zu schlendern und der armen Frau unter die Arme zu greifen. Wie dumm manche Leute doch waren! Als hätten sie Hamsterhirne. Er ahnte noch nicht, wie viel Wahrheit in diesem Gedanken steckte!

Sammantah Schmitts Katze ging ab wie Sammantah Schmitts Katze, als der Hamster Mubarak eines bärigen Morgens mausetot an der Vogeltränke lag. Sie waren die best buddies ever gewesen, zumindest hatte Sammantah sie so genannt. Mubarak und Miezi, sie waren das prototypische Vorzeigepaar für ungewöhnliche Tierfreundschaften, hatten es sogar in die Homestory der „Fellrevue” geschafft. Aus und vorbei. Das Rotkehlchen hatte Mubarak keine Chance gelassen, arglos war er an die Tränke gewackelt, um sich seinen morgendlichen Schluck zu genehmigen, was süß ausgesehen hatte, Sammantah hatte diesen Gang immer geliebt, dieser süße Hamsterschritt, den hatte ihr Mubarak einfach drauf. Damals in der Zoohandlung war er ihr sofort ans Herz gewachsen, der Verkäufer hatte ihre Begeisterung seltsamerweise nicht geteilt und etwas wie „endlich ist das Drecksviech weg” und „er trinkt am liebsten Essigessenz” gemurmelt, aber sie führte es auf klassische Eifersucht zurück, sie stand eben mehr auf Hamster als auf Vollbärte. Bei all diesen Erinnerungen floss ihr alsbald eine Träne über das Rouge ihrer Wange und brachte es in Unordnung. Schmerz wallte in ihr hoch, als sie sich das Bild in Erinnerung rief, welches sich fest in ihr Gedächtnis einbrennen sollte: da lag also ihr Hamster, tot, daneben das zweigeteilte Rotkehlchen, und ihre Katze mit Federn im blutigen Maul und zornesroten Augen. Immerhin war hier Instantgerechtigkeit geschehen, denn der Vogel hatte zwar voll Heimtücke den Hamster richten können, doch Miezi war eine Nummer zu groß. Der Rache war genüge getan, aber Mubarak konnte das auch nicht mehr lebendig machen. Weil Sammantah gerade erst auf Arte eine Dokumentation zu Nagetieren in ihrem natürlichen Habitat gesehen hatte, danach zu „Cryobrain - ewiges Leben durch Hirnfreezing?” gezappt war und bei der Volkshochschule einen Abendkurs zum Thema „Neue Rezepte für die Klonküche” machte, brauchte sie nur eins und zwei zusammen zählen, um zu wissen, was der dritte Schritt war, um doch noch etwas von ihrem Liebling in die Zukunft zu retten.

Etwas machte Anselm stutzig. Natürlich gab es für ihn keinen Zweifel, dass die meisten seiner Mitmenschen dumm wie Brot waren, aber heute hatte der Pegel der Dummheit bereits die Hochwassermarke am Mittag überschritten. Erst der Vorfall auf dem Kinderspielplatz, dann die unangenehme Sache in der Bahnhofsbuchhandlung (ihn schauderte, als er daran zurückdachte) und nun die eklige Tat des distinguierten Herrn im grünen Frack auf dem Balkon gegenüber! Er hatte ja schon so einiges gesehen in seinem Leben, doch das setzte dem Ganzen die Krone auf. Da trat er nichtsahnend auf den Balkon, um sich nach der heißen Dusche zu erfrischen, und was musste er sehen? Der Nachbar auf der anderen Straßenseite war ihm ja schon immer etwas seltsam vorgekommen, ein irgendwie unangenehmer Schriftstellertyp, saß oft nachts, wenn Anselm dem Bett entstieg, weil er auf den Topf musste, noch am Fenster und tipperte auf einer alten Schreibmaschine herum, ja wie freakig war das denn? Doch das war nichts gegen die Show, die er heute abgezogen hatte. Scheinbar panisch lief er herum, immer im Kreis, um dann irgendwann sein Gebiss biberhaft in den Ginkgo-Baum zu rammen. Ja war denn die Welt verrückt geworden, oder zumindest Traben-Trarbach? Was war nur los? Ihn schwindelte. Sollte er bis morgen Ruhe bewahren, um dann des Morgens alles weitere aus der Neuen Pfälzer Lügenpresse zu erfahren? Der erklärte ihm doch sonst immer die Welt. Oder kam es nun darauf an, schnell und unverzüglich das Heft des Handelns zu ergreifen und etwas zu tun? Aber was? Er schritt unruhig in seiner Wohnung umher, dann machte er sich einen starken Kakao mit Muskat. Das beruhigte ihn ein wenig, jedoch nicht vollständig. Was sollte er tun?

Sie hatte es sich etwas schwerer vorgestellt, aber es war dann recht simpel vonstatten gegangen. Der 3D-Drucker geriet kurzzeitig ins Stocken, als Miezi ihre Pfote um das Rohmaterial wickelte, schnurrte dann aber ordentlich los. Sie hatte zwar nur sechs Hirne geschafft, keine mehreren tausend, aber erstens hatte Traben-Trarbach ja gar nicht soviele Einwohner, und zweitens konnte sie ja später weiter nachdrucken. Diese allerdings waren prächtige Exemplare, sie schimmerten bläulich, fast geheimnisvoll, hätten wunderbar als Requisiten für einen Indiana-Jones-Film dienen können, wie sie da so schimmerten, ein mysteriöser Tempel im Regenwald von Guatemala, mit Nebelschwaden umwoben und eingegarnt in dramatische Orchestermusik. Sie war so berauscht von der Vorstellung, dass sie sogar die CD mit dem Soundtrack von „Der Fluch des gläsernen Todesspechts” einlegte und gebannt auf ihr Werk starrte. Nach dem zweiten Track musste sie allerdings schnell ausmachen, denn da kamen die Erinnerungen an den etwas verkorksten Kinoabend wie die Pfeile aus dem Köcher der indigenen Laiendarsteller in ihr Gedächtnis geschossen. An den seltsamen Kerl mit dem Stockholm-Syndrom, mit dem sie den Abend im Kino verbrachte, wollte sie sich nun wahrlich nicht erinnern. Mit der Musik war aber auch die Reminiszenz an diesen Hirni dann schnell verpufft. Der Rest war ein Kinderspiel. Mit den geklonten Hamsterhirnen im Jutebeutel klingelte sie eine Straße weiter (um nicht so aufzufallen, wollte sie nicht da klingeln wo sie jeder kannte) an den Türen von sechs zufällig ausgewählten nichtsahnenden unbescholtenen Bürgern, hieb ihnen flugs auf den Kopf und fädelte dann eins der Hirne durch des Opfers Nase in den Schädel. Dann legte sie die betäubten Menschen vorsichtig in ihr Bett, damit sie sich nicht allzusehr wunderten, wenn sie wieder aufwachten, es sollte nämlich so wirken, als hätten sie sich einfach schlafen gelegt. Es war ein perfekter Plan, und er ging perfekt auf.

Krachend stieß Anselm die Tür auf. Er hatte sich für Aktion entschieden. Und allem Anschein nach war das die richtige Entscheidung, denn was er sah, war höchst kriminell. Ein Drogenlabor! Oder irgendsowas ähnliches, da war eine Petrischale und irgendwelche seltsamen Pipetten lagen auch herum. Eine Frau, die er nicht kannte, drehte sich auf einem Bürostuhl zu ihm um, sah ihn an und schien bass erstaunt. „„Scheiße”, rief sie, „schöne Scheiße!” Anselm ließ sich davon nicht beirren und fixierte die Frau mit festem Blick. „Erwischt!” rief er, und ihn überkam ein tolles Gefühl des Sieges. Endlich, dachte er insgeheim bei sich, endlich würde ich morgen über mich höchstselbst eine Geschichte in der Neuen Pfälzer Lügenpresse und wahrscheinlich sogar im Moselkurier lesen können, denn dass das hier lupenreiner Newsstoff war, das war ihm sofort klar. „Aber warum, junge Frau, warum?” Sie wich seinem Blick aus. „Es ist wegen… wegen…” ihre Stimme bekam etwas Unsicheres, „mein Hamster ist tot! Ich musste doch irgendwas tun!” Da verstand Anselm, ihm wurde seltsam anheimelnd ums Herz und er legte ihr seine ob der durch jahrelanges Zeitunglesen vielen Druckerschwärze ganz kohleartige Hand auf die Wange. Es war der Beginn des größten Verbrecherpärchens seit Bonnie & Clyde, Max & Moritz und Tick, Trick & Track. Der Rest ist Geschichte.