Gruppe 13


Räuberpistolen für den Hausgebrauch


Erinnerungen an Wachtmeister Wuff

von Justin-Rolf Colt

Pascal ist wieder am Trainieren. Das Gesicht vor Anstrengung zu einer bizarren, tiefroten Fratze verzerrt, grunzt er vor sich hin, während ihm regelmäßig Speichel aus dem Mund spritzt. Er klingt wie ein geiler Hirsch mit Erkältung. Seine Adern liegen wie pulsierende Gartenschläuche über seinen unpraktisch großen Muskeln. Sechs Stunden am Tag seit drei Monaten. Er isst ausschließlich Fleisch und Nahrungsergänzungsmittel. Klar stopft er. Seine eiserne Zielstrebigkeit, seine Bereitschaft zur völligen Selbstaufgabe lassen selbst professionelle Athleten neben ihm erblassen. Die meisten von ihnen meiden ihn, wenn er auf seiner Hantelbank vor sich hinbrumpft und schwitzt.

Pascal war nicht immer der muskelbepackte, körperfettlose Hüne, der er heute ist.
Vor einem knappen halben Jahr war er noch “Schwabbel”, der fette Typ mit der unreinen Haut. Glänzende Strähnen von dünnem, blassbraunem Haar rahmten sein rundes, sonnenscheues Gesicht. Er sah aus wie ein zu großes Kind in den Neunzigern mit Diabetes. Aufgrund seiner unglücklichen Erscheinung begleiteten ihn Spott und Hohn bereits seit seiner Entbindung, bei der er vor Lachen fallengelassen wurde. Es fühlte sich an, als könne er die missgünstigen, verachtungsvollen Blicke auf seiner Haut spüren. Doch selbst mit diesem Hintergrund erschienen ihm die Kinder aus der neuen Gruppe gnadenlos und brutaler als alle Vorangegangenen. Gyntlin und Roypokk, Zwillinge eines alleinerziehenden Amateurkunstsammlers, waren die Schläger der Truppe. Gandalf-Karl-Merlin das eiskalte Hirn und selbst der leiderfahrene Autist Hakan-Cornelius ließ es sich nicht nehmen, Pascal in der Hackordnung deutlich unter sich zu platzieren. Am schlimmsten jedoch war die Anführerin - Lorén. Die Ausgeburt eines Zahnarzt-Lehrer-Pärchens war ein dürres, blondes Ding, das Pascal mit psychologischer Präzision fertig machte. Sie hatte einen Sensor wenn es um seine wunden Punkte (hässlich-und-fett-sein) ging, und sie schlug bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu. Pascal hatte panische Angst vor ihr.

Eines Tages, es war Pascals Geburtstag, artete die fast schon routinierte Tirade von Demütigungen und Beleidigungen dermaßen aus, dass Pascal weinend zusammenbrach und von seiner Therapeutin für ein halbes Jahr aus der Gruppe genommen wurde. Pascal war so dermaßen am Boden zerstört, dass er sich an einem Scheideweg wähnte. Entweder es ändert sich etwas – er ändert sich – oder er würde elendig zugrunde gehen. Pascal hatte genug davon, unterlegen zu sein. Er meldete sich im Fitnessstudio an und begann wie ein wilder Affe zu trainieren, und er hörte nicht mehr auf. Seine Komplexe trieben ihn von einem Extrem ins nächste. Nach wenigen Wochen sah er bereits aus wie eine zu hastig aufgepumpte Menschenattrappe, aber eine gewisse Bedrohlichkeit konnte man ihm trotz seines Haarschnitts nicht absprechen.
Wie würden die anderen reagieren? Das halbe Jahr war um, und trotz seiner extremen Verwandlung war Pascal mulmig zumute. Seine Hände schwitzten vor Aufregung. Er konnte die Stimmen der anderen durch die Tür zum Gruppenraum hören. Er drückte die Türklinke herunter und betrat den Raum. Die Stimmen verstummten und alle drehten sich zur Tür. Lorén hob ihren Kopf und funkelte ihn mit ihren blaue Augen an.

„Na, du fettes Kackswein!“

Etwas in Pascals Hirn zerbrach mit einem hörbaren Knacken. Die Welt färbte sich rot vor seinen Augen. Der siebenundreißigjährige Erzieher rannte auf Lorén zu und schlug der Dreijährigen mit aller Wucht ins Gesicht. Die Polizei benötigte sieben Schüsse (drei davon in den Kopf) und die Hilfe zweier äußerst aggressiver Polizeihunde*, ehe Pascals bereits toter Körper von dem kleinen Mädchen abließ.

*Wachtmeister Wuff und Hauptkommissar Hund