Gruppe 13


Räuberpistolen für den Hausgebrauch


Giovanni fliegt

von Schwindo Zipf

„Da passt man einen Moment nicht auf, schon hängt der Pimmel im Toaster“, dachte Giovanni reumütig, während er mit hoher Geschwindigkeit durch den Weltraum flog. Es war irgendwie nicht sein Tag gewesen heute. Nicht, weil es sein letzter Tag auf der Erde war, sondern eher andersrum. Also es war einfach nicht sein Tag gewesen und deshalb wurde es sein letzter. Verwirrend. Also jetzt mal der Reihe nach:

Gegen 18 Uhr stand Giovanni wie jeden Tag vor dem Steinofen seiner beliebten Pizzeria „Mamma Mia“ im Glockenbachviertel, als ein junger Mann pfeifend den Laden betrat:
„Guten Tag! Ich bin Künstler und habe Hunger. Ich hätte gerne eine Pizza Margherita mit Oliven und extra Käse zum mitnehmen.“
Gedankenverloren belegte Giovanni die Pizza: hier ein bisschen Tomaten, dort ein paar Oliven, ein bisschen Käse, ab in den Ofen, fertig. Das Leben als Pizzabäcker war ein einfaches Leben.
Der junge Mann bezahlte und öffnete dann noch einmal die Pappschachtel. Er stierte auf die Pizza, sein Blick wurde kalt wie eine kühle Bierschorle. Sein Kopf begann zu zucken, als hätte er einen epileptischen Anfall. Er blickte hoch zu Giovanni, ein Schweißtropfen lief aus seinem Auge, über seine Wange und fiel in Zeitlupe herunter. Sein Mund – nein, es sah jetzt eher aus wie das Maul eines vom Dämon besessenen Kaninchenhais – öffnete sich bedrohlich. Giovanni bekam Angst. Dieses Gefühl hatte er erst ein mal in seinem ganzen Leben verspürt, damals, 1993, als die ‘Ndrangheta ihn in der Sauna in Bochum besucht hatte. (Es war damals übrigens doch alles gut ausgegangen. Er hatte das Gespräch in für ihn unangenehmen Phasen immer wieder geschickt auf seinen imposanten, langen Hoden lenken können.)

Plötzlich stand der junge Mann schon diesseits des Tresens, Giovanni konnte seinen heißen Atem riechen. Mit dem Ringfinger deutete der wildgewordene Jüngling auf das italienische Heißgericht und brüllte: „Doppelt Käse!!! Wo? Ist? Da? Doppelt? Käse??? Du hässliches Stück Pavianscheisse!!!“
Er holte aus, schwang seinen rechten Arm grazil im Kreis und schlug dann zu. Kinnhaken. Bäng.
Giovanni hatte zwar ordentlich Speck auf den Rippen, aber das half ihm jetzt auch nicht mehr viel.
Mit Hyperspeed wurde er in die Luft geschleudert, krachte durch die Decke seiner Pizzeria, hoch durch den ersten Stock, wo eine Flüchtlingsfamilie gerade Markus Lanz auf einem Röhrenfernseher betrachtete, weiter nach oben – kräng – durchs Dach – zisch – in die Luft.
Giovanni, von seinen Freunden liebevoll „Giogio“ genannt, erinnerte sich an eine Doku, die er mal auf RTL2 gesehen hatte. Dort wurde eine Mutter interviewt, die angeblich mit bloßen Händen ihr Auto hochgestemmt hatte, weil sich ihr Kind unter einem der Räder verfangen hatte. So übermenschliche Kräfte, die Leute angeblich entwickeln in Grenzsituationen. Aber konnte zu wenig doppelt Käse auf der Pizza einen Menschen in eine derartige Grenzsituation bringen, dass er solch schiere Power entwickeln konnte? Anscheinend ja.
Es ging weiter nach oben für Giovanni. Sekunde für Sekunde entfernte er sich mehr von seinem Heimatplaneten. Hose und Unterhose waren ihm herabgeglitten, sein imposanter, langer Hoden bebte im Fahrtwind auf und nieder. Kurz vor dem Austritt aus der Atmosphäre fiel er ab.
Dafür war sein Geist jetzt sehr klar. (Zumindest dachte er das.) Und er hatte die Idee seines Lebens: Er würde ein Patent anmelden: für… Trommelwirbel… die Nasenzigarette! Die Nasenzigarette wäre eigentlich eine ganz normale Zigarette, allerdings würde man sie durch die Nase rauchen. Die Nase filtert nämlich viel mehr Schadstoffe heraus wie die Lunge. Was für eine geniale Erfindung. Er müsste nur noch einen versierten Marketing-Fachmann finden, der ihm bei der Promotion der Nasenzigarette behilflich sein würde. Vielleicht sein Neffe Ulf? Ach nee, Ulf war ja ein totaler Versager, der den ganzen nur Tag kiffte. Außerdem saß er im Rollstuhl. Na egal, er würde schon jemanden finden. Geil.
Mittlerweile war Giovanni allerdings schon etwa auf Höhe des Uranus, also kurz gesagt sauweit draußen im Weltall. Handy-Empfang gab es hier nicht mehr.

Langsam wurde ihm aber etwas langweilig. Er las ein paar Kapitel aus „Mein Kampf“. Die Taschenbuchausgabe hatte er zum Glück immer im Arsch stecken. Da stand aber auch nix Neues drin. Als Italiener fand er natürlich Mussolini eh cooler.
Mittlerweile war er auf Höhe des Neptuns. Es roch nach Fisch.
Keine fünf Minütchen später: unsanftes Auftreffen auf Sedna. Da lag er. Den Kopf im Schlamm, die Zehennägel ungeschnitten, nackt wie eine alte Oma beim Bade – da zwickte ihn etwas in die Wade.
Er sah auf und rieb sich den Schmutz aus den Pupillen. Drei Augen sahen ihn durchdringend an. Eine sehr piepsige Stimme sagte:
„Du bist doch Giovanni, der Pizzabäcker von dem Spacko-Planet!“
Giovanni war überrascht. Woher kannte der Fremde, der aussah wie eine Mischung aus Mike Tyson und einer formschönen Blumenvase, seinen Namen?
„Äh, ja. Si, si, bin, bin isch“ stotterte Giovanni und versuchte instinktiv seinen italienischen Akzent zu lancieren, den er eigentlich nur noch von Zeit zu Zeit in seiner Pizzeria überstülpte, um ältere Frauen aufzureißen.
„Dann komm mal mit“ forderte ihn das Alien auf.
Nebeneinander schwebten die beiden jetzt über die schlammige Erde des Planeten Sedna. Bis auf den Schlamm war es schön hier. Es gab zwar kein Licht, da der Planet zu weit von einer Sonne entfernt liegt, aber man entwickelte hier recht schnell die Fähigkeit, die Umgebung mit der linken Brustwarze wahrzunehmen. Es gab kleine Wattwürmer, die sprangen wie Delfine. Es gab gelbe Morast-Blüten, die dufteten nach frischem Meth. Es gab schimmernde Schimmelsteine, ölige Oasen, vorlautes Zwitscher-Obst und obszön stöhnende Wolken. Es war wie ein bunter Jahrmarkt der Kuriositäten.

Schließlich kamen die beiden in der Stadt an. Sie stiegen in die U-Bahn. Es war voll und stickig und in regelmäßigen Abständen kamen Alien-Frauen an, die Giovanni unsittlich berühren wollten. Zum Glück waren seine Genitalien ja irgendwo im Weltraum zurückgeblieben, sonst wären sicherlich unschöne Dinge passiert. Endlich waren Giovanni und sein Begleiter angekommen. Sie stiegen aus und gingen schnurstracks ins Topodronium, das Zentrum der Macht. Der große Schi-Polo-Saal bildete die Mitte des pikfeinen Gebäudes. Hier gab es überall große Monitore, auf denen diverse „gegnerische“ Planeten zu sehen waren, teilweise in desaströsem Zustand. Hier wurde der kleine Erdling erstmal aufgeklärt. Es war so: Die Sednaer hatten in ihrer Zivilisationsgeschichte relativ schnell erkannt, dass es Quatsch ist sich gegenseitig umzubringen. Und dass es viel mehr Spaß macht, andere Spezies auf fernen Planeten abzumurksen, aus sicherer Entfernung. Man muss halt in den Weiten des Universums manchmal lange nach Gegnern suchen, aber es lohnt sich. So hatten die Sednaer schon diverse Planeten auf dem Gewissen.
Naja, um es kurz zu machen: der ehemalig höchstens mediocre Pizzabäcker Giovanni wurde durch einen komischen Zufall ihr Anführer und im Jahr 2034 wurde auch der Planet Erde in kurzem supra-atomarem Prozess ausradiert. Aus die Maus. Schluss im Bus. Nix am Start im Salat. Silencium im Stipendium.

Vom Immobilienhai zum Schreiberling: Schwindo Zipf ist im Verkaufen von Buchstaben genauso schlecht wie im Verkaufen von Betongold.
finanzen.net

„Giovanni fliegt“ is a real treasure chest. If you open it, you will find big hairy balls.
Al Jazeera