Gruppe 13


Räuberpistolen für den Hausgebrauch


Der Fluch von Shannon O'Leary

von Dr. Hakan Krebs

O’Leary schnäuzte ein Gemisch aus angetrocknetem Schleim und halb geronnenem Blut in ein krustiges Stofftaschentuch. Er war bereits seit über drei Monaten erkältet und dachte ernsthaft darüber nach, sich mit seiner Dienstwaffe aus dem schier endlosen Elend Influenza zu befreien. Doch Typen wie O’Leary gaben nicht auf. Sicher, das Leben bewarf ihn mit Scheiße, er trug die unendliche Schuld eines irischen Katholiken auf den Schultern, der Alkoholismus änderte daran seit über 25 Jahren nichts und das Einzige, was seinen Hass auf Menschen übertraf, war die glühende Verachtung für sich selbst. Welchem New Yorker Cop ging es anders? Er knüllte das Taschentuch in einer geballten Faust zusammen und stolperte leicht angetrunken ins Präsidium.

„Verfickte Scheiße, O’Leary. Es ist kurz nach elf!“, begrüßte ihn der Lieutenant. O’Leary ignorierte die wütende Burschikose und bewegte sich geradewegs auf die Kaffeemaschine zu, in der Hoffnung, seine pochenden Kopfschmerzen zumindest temporär zu zähmen. Sein Partner Detective Ryker wartet dort bereits auf ihn und starrte ihn mit leuchtenden Saphiren, die er anstelle von Augen benutzte, an. „Mama?”, fragte er O’Leary mit einer Mischung aus Vorwurf und Hoffnung.
Ryker war anderthalb Jahre alt und wurde von seiner sehbehinderten Mutter bereits seit sechs Monaten jeden Morgen irrtümlich „in der Kita” abgegeben, wo er sich in kürzester Zeit zum Detective hochgearbeitet hatte. Eine bedrohlich große Blase aus Rotz pulsierte aus seinem linken Nasenloch, ehe sie mit einem lauten Knall zerbarst. Er war der einzige Cop, der freiwillig mit O’Leary zusammenarbeiten wollte. Es beruhte auf Gegenseitigkeit. „Ich hab’ keine Zeit für deine Psychospielchen, Ryker.“, sagte O’Leary müde und drückte seinem Kollegen einen doppelten Espresso in die furchtbar kleinen Hände.

„O’Leary!“, schrie der Lieutenant durch das gasige Großraumbüro. „Jemand wurde ermordet. Ich will dich nicht losschicken, weil du eine Gefahr für dich und deine Umgebung bist. Du bist eine Schande für jeden sauberen Bullen dieser Stadt! Wenn es nach mir ginge, würdest du deine Marke für immer verlieren, so wie du vor vielen Jahren deine Würde wegen einer Frau für immer verloren hast!”. Der Lieutenant hielt inne, lief strammen Schrittes auf O’Leary zu, packte ihn am Saum seiner schlecht verarbeiteten Anzugjacke und küsste ihn tief und innig. „Aber ich will zur Hölle fahren, wenn du nicht verdammt nochmal der beste Cop bist, den ich kenne”, hauchte sie ihm ins Ohr.

O’Leary befestigte Ryker’s Kindersitz auf der Beifahrerseite seines europäischen Kleinwagens, für den er oft mitleidig belächelt wurde, als sei er ein bisschen behindert. Er hoffte, dass sich die beiden ein übelriechendes Malheur, wie bei der letzten Streife, ersparen würden und warf seinem Kollegen einen vorwurfsvollen Blick zu, als sich die Erinnerung an den Vorfall nur zu klar in seinem Kopf abspielte. „Hoppla!“, kommentierte Ryker der sich mal wieder unabsichtlich auf den Hosenboden gesetzt hatte.

Mit quietschenden Reifen und lautem Heulen der Sirenen erreichten die Außenseitercops den Tatort. O’Leary redete eine Dreiviertelstunde beruhigend auf Ryker ein, bis auch dieser das Heulen einstellte. Die Detectives stiegen mit laufenden Nasen aus dem Wagen und begaben sich zur Tür des Hauses, in dem angeblich eine frische Leiche auf die beiden warten sollte. Doch wo waren die Kollegen um den Tatort abzusichern? Wo war die Spurensicherung? Wo die aufgebrachten Reporter und fetten Schaulustigen, denen O’Leary jedes Mal am liebsten ins Gesicht schießen würde?

Wenn O’Leary eine Sache als Cop gelernt hatte, dann, dass Zögern fast so viele Menschenleben kostete wie unüberlegtes Vorgehen. Er war sich sicher, dass er vor dem falschen Haus stand, doch jetzt war keine Zeit für Zweifel. Unverhohlen trat er mit voller Wucht gegen die Tür, welche nicht nachgab. Er schrie auf vor Schmerzen. „Zug!“, kommentierte Ryker, der mit ausgestrecktem Arm auf eine U-Bahn in der Ferne zeigte. O’Leary packte das gesamte Gewicht seines ungesunden Körpers hinter seine Schulter, konzentrierte seinen Frust über ein Leben voller Enttäuschungen auf einen Punkt und durchbrach damit die widerspenstige Tür.
Die fünf schwerbewaffneten Drogendealer im Wohnzimmer des Hauses guckten nicht ganz so überrascht wie sie es normalerweise getan hätten, wenn ein ungepflegter Mann mittleren Alters und dessen Partner von der Höhe eines Stelltisches durch ihre Haustür krachten. „NYPD, Hände hoch!” bellte O’Leary, bevor jegliche Kommunikation durch das laute Rattern vollautomatischer Maschinenpistolen unterbunden wurde. O’Leary warf sich auf den Boden. „Hoppla!” O’Leary streckte routiniert drei der schlecht gekleideten Gauner nieder, bevor sein Revolver nur noch ein enttäuschendes Klicken von sich gab. Er überprüfte die Trommel und stellte fest, dass die restlichen drei Kammern mit Zigarettenstummel gefüllt waren. Ein verbreiteter, aber leichtsinniger Streich unter New Yorker Polizisten. Siegessicher grinsten die beiden Verbrecher durch ihre Gesichtstätowierungen, doch O’Leary wusste genau, was im nächsten Moment passieren würde und seufzte nasal mit der Gewissheit eines Mannes, der dem Tod nur ungern von der Schippe sprang.

Ein tiefes Grollen erfüllte den Raum, der langsam aber heftig zu beben begann. Das Grinsen sowie sämtliche Farbe hatten sich aus den Gesichtern der Ganoven verabschiedet. Mit einem lauten Knacken brachen die Holzdielen des Wohnzimmerbodens auseinander, und das gellende Kreischen elektrischer Gitarren erschallte. Die Erde tat sich auf und O’Learys Ex-Frau Shannon sprang aus einem brennenden Loch im Boden. Sie zwinkerte ihrem Witwer zu, während sie mit ihren langen Fingernägeln die verbliebenen Gangster ausweidete. Nach dem kurzen Gemetzel drehte sich die schwebende, in grünes Licht gehüllte Frauengestalt mehrmals um ihre eigene Achse und flog mit einem schrillen Kichern aus dem Fenster.

„Mama?“, fragte Ryker unsicher und mit Tränen in den Augen. „OK Buddy, genug für heute”, sagte O’Leary, als er sich mühsam und hustend vom Boden aufraffte. Er wusste, dass es Ryker sehr wichtig war, rechtzeitig um 16 Uhr im Präsidium zu sein. Der sehr kleine Detective behauptete, es hätte mit seiner Leidenschaft für Schienenverkehr zu tun, aber O’Leary hatte bemerkt, dass sein Partner schnell die Nerven verlor, wenn er nicht pünktlich abgeholt wurde. Dazu kam, dass er Ryker zu Beginn ihrer Zusammenarbeit für wenige Minuten im Kopierraum mit einer Schere alleingelassen hatte. Ryker trug seitdem eine Narbe unter dem rechten Auge – O’Leary etwas mehr seiner allzu vertrauten Schuld. Als die beiden die Straße herunterfuhren, änderte sich Rykers Gesichtsausdruck plötzlich innerhalb weniger Sekunden von ängstlicher Anspannung zu angestrengter Konzentration zu fröhlicher Erleichterung. Er strahlte O’Leary mit seinen leuchtenden Edelsteinen an.

„Ryyyyyyyyyyykkkkkkkeeeeeeeeeeeerrrr!!!”


„Dr. Krebs ist gar kein Arzt.“ - eine junge Studentin

„Ich habe das nicht geschrieben!“ - Dr. Hakan Krebs