Gruppe 13


Räuberpistolen für den Hausgebrauch


Das Shetlandpony aus dem All

von Larissa Igelfeind

Als Josef am Tag vor Heiligabend die Wohnungstür aufschloss, stand da ein Pony im Flur. Damit hatte er nicht gerechnet.
Er blieb erschrocken stehen, starrte das Tier an und ließ seinen Dudelsack fallen. Mit einem lauten Plaff setzte er auf der Schwelle auf und sackte armselig pfeifend zusammen.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass es seine eigene Tür war, warf Josef einen schnellen Blick über die Schulter, um die Lage besser einschätzen zu können. Schnell war klar, dass er mit der Situation alleine fertig werden musste; seine Nachbarin war ja nach Peru verreist, und der Rest des Hauses lag in seltsamer Stille.

Josef blickte wieder in seine Wohnung. Da stand immer noch ein Pony. Ein Shetlandpony. Equus caballus. Es schaute ihn ruhig an, während es eine Kaugimmiblase machte, die langsam größer wurde. Es hatte langes Fell, war braunrot gescheckt und trug einen Hut aus edlem Metall. Wahrscheinlich Bronze, dachte Josef. Obschon es nicht sonderlich groß war, machte es in dem schmalen Flur doch eine beeindruckende Figur. Mit einem lauten Knall zerplatzte die Kaugummiblase plötzlich. Josef zuckte zusammen. Das Pony bewegte seinen Kiefer langsam hin und her.
Zögerlich trat Josef einen Schritt nach vorne. Das Pony schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen und kaute weiter. Josef fasste Mut und ging langsam auf des Pony zu. Als er direkt vor ihm stand, streckte er die Hand aus und berührte es vorsichtig auf der Stirn. Das schien dem Tier zu gefallen. Es kaute etwas schneller. Josef zog seine Hand zurück und ging zur Tür, um sie zu schließen. Seinen Dudelsack kickte er hastig zur Seite. Darum würde er sich später kümmern. Erstmal musste er herausfinden, was das Pony hier wollte, und wie zum Teufel es in seine Wohnung gekommen war. Hatte es ein Einbrecher aus Versehen vergessen? Hatte es einen Schlüssel? War es zum Fenster hereingeflogen? Gehörte es jemandem? Gehörte es nun ihm? Hatte er es gestern beim Pokern gewonnen und vergessen? Nein.
Keine dieser möglichem Antworten konnte ihn befriedigen. Nachdem er den ersten Schreck überwunden hatte, holte er eine alte Lakritzschnecke aus der Dunstabzugshaube und hielt es dem Pony vor die Nase. Dankbar schlürfte es die Süßigkeit ins linke Nasenloch und pupste daraufhin glücklich. Josef war beruhigt. Es schien keine Gefahr von ihm auszugehen. Er fasste dem Tier in die Mähne, doch schon im nächsten Moment wurde ihm ganz schummrig. Ein seltsamer Geruch stieg ihm in die Nase. Vom einen Moment auf den anderen verließen ihn die Kräfte, und dann sank er auch schon auf den Teppich.

Als er die Augen aufschlug, blickte er in zwei dunkle schwarze Löcher. Er blinzelte ein paarmal, dann wurden die schwarzen Löcher zu Augen. Shetlandponyaugen. Heißer Wüstenwind umspielte seine sonnenverbrannte Nase. Er musste husten, denn seine Kehle war trocken. Dann richtete er sich langsam auf. Er spürte seine Knochen, denn er hatte auf blankem Sand geschlafen. Er blickte sich um und sah nur Wüste. Das Konterfei des Shetlandponys schälte sich aus dem Dunst und zwinkerte ihm zu. Josef griff in seine rechte Westentasche, holte eine Lakritzschnecke aus der Tüte und hielt sie dem Pony hin. Im Nu war sie in der Nase des Tieres verschwunden. Dann packte er die Tüte sorgfältig wieder ein. Er griff sich seine Pantoffeln und schwang sich auf das Pony. Schon galoppierten sie davon, dem Horizont entgegen.

Nach einer Weile tauchte die Silhouette einer Stadt auf. Zwiebeltürmchen und Plattenbauten schmiegten sich harmonisch aneinander. Josef kniff die Augen zusammen und sah Trauben von Shetlandponies auf den Balustraden stehen. Sie starrten alle in seine Richtung, als würden sie auf seine Ankunft warten! Der Wind wehte Fanfarenstöße herüber. Josef zog seinem Pony an der Mähne, woraufhin es aus vollem Galopp in einen leichten Trab wechselte. Unschlüssig kratzte er auch an Kopf und Niere und überlegte.
Die Luft begann zu flirren. Ohne Vorwarnung schoß jäh ein greller Blitz auf ihn und sein Pony herab, doch nein, es war kein Blitz, sondern ein extrem starker Lichtstrahl! Eine riesenhafte Katze schwebte über ihnen! Keine fünf Sekunden später waren sie vom Erdboden verschwunden, und von der Katze war nichts mehr zu sehen.

Josef holte seinen Schlüssel aus der Tasche. Leichte Übelkeit klebte an seinem Gaumen, wie so oft nach seinem freitäglichen Dudelsackkonzert im Atrium des Sparkassenvorstandes.
Im Hausflur roch es nach Grünkohl mit Pinkel.
Er schloss die Tür zu seiner Wohnung auf und erstarrte. Da stand ein Pony in seiner Wohnung! Damit hatte er nicht gerechnet.
Er blieb erschrocken stehen, starrte das Tier an und ließ seinen Dudelsack fallen.